Liebe Leserinnen und Leser
Ich weiß nicht, ob es Ihnen und Euch schon aufgefallen ist – am nächsten Wochenende beginnen die Sommerferien! Und seit langer Zeit habe ich endlich mal wieder das Gefühl von Normalität, denn die letzten Wochen vor den Sommerferien waren schon immer ziemlich stressig – und diese sind es auch!
Jedenfalls kommt es mir so vor, aber vielleicht brauche ich auch noch etwas, um mich an das wieder anziehende Arbeitspensum seit Anfang Juni zu gewöhnen. Die Möglichkeiten nehmen mit den staatlichen Lockerungen wieder zu – und damit auch die Termine. Und ich muss mich erst wieder daran gewöhnen. Kennen Sie, kennt Ihr das auch? Irgendwie hatte man sich an die Beschränkungen gewöhnt oder zumindest an Tage mit einer inneren Geschwindigkeit, in der die Zeit möglichst schnell vorbei rast und eine Woche nach der anderen vergeht – und ich merke es kaum, weil nicht ganz so viel passiert, das bemerkenswert wäre. Das denke und lebe ich jedenfalls zeitweise und ärgere mich manchmal auch über mich selbst, dass ich das so zulasse und meine Zeit und damit auch mein Leben nicht bewusst wahrnehme, sondern einfach vorbeiziehen lasse, um möglichst schnell bei „nach Corona“ anzukommen. Aber eigentlich habe ich einfach vieles übersehen und Teile meines Lebens nicht gelebt, mochte das Heute nicht und war deshalb schon halb im Morgen!
Mir sind in den letzten Wochen einige bemalte Steine aufgefallen. Zuerst vor der St. Jacobi-Kirche am Eingang. Mose, der die Tafeln mit den 10 Geboten hält. Der Stein lag da auf dem Karton, auf dem gedruckte Wochenandachten u.a. liegen.
Vor dem Gottesdienst hatte ich Zeit und schaute mir das kleine Meisterwerk an und freute mich darüber. Schön, wieviel Mühe sich da jemand gemacht hat! Und mir fiel wieder ein, was ich seit dem Frühjahr 2020 immer wieder vergessen hatte, denn damals gab es ja auch schon eine Aktion mit bemalten Steinen auf dem Marktplatz zu Beginn der Corona-Zeit. Und dann lagen solche Steine am Amtsgebäude, und jetzt tauchen sie einzeln an verschiedenen Orten auf, wie vor der Jacobi-Kirche. Und in der letzten Woche sah ich dann einen weiteren vor der St. Ursula Kirche in Böel. Ganz anders mit Pilzen und Schmetterling, aber auch wunderschön.
Und dann entdeckte ich am Eingang unserer Einfahrt noch einen weiteren Stein. Und eigentlich wollte ich ihn heute für diese Andacht auch fotografieren, aber er war schon wieder weg! Denn das ist das Besondere an diesen bemalten Steinen, man legt sie an einen Ort, und da liegen sie dann länger oder kürzer bis jemand vorbeikommt, sie mitnimmt und an einem anderen Ort wieder ablegt. Dort können sich dann andere Menschen darüber – hoffentlich – freuen.
Mich haben diese Steine wieder mal daran erinnert, was das Neue Testament „Kairos“ nennt, der besondere Moment, den man nutzt oder auch nicht, aber dann ist die Gelegenheit vorbei. So werde ich etwa nicht mehr erfahren, was auf den Stein an unserer Einfahrt gemalt wurde – er ist nicht mehr da gewesen, als ich heute nachschauen wollte! Und bei anderen Situationen ist es ähnlich. Die alten Römer haben für diese Erkenntnis die Weisheit „Carpe diem“ (= Nutze den Tag!) gefunden, man kann auch sagen: „Lebe im jetzt und hier!“ Denn es ist die einzige Zeit, in der man wirklich leben kann. Die Vergangenheit steht fest – die Zukunft gibt es noch nicht! Aber so einfach ist es meistens nicht. Manche Menschen kommen gar nicht in der Gegenwart an, weil sie in einer Vergangenheit leben, die es nicht mehr gibt, und manche Menschen sind so von den Sorgen um die Zukunft bestimmt, dass keine Aufmerksamkeit für das hier und heute übrig bleibt.
All denen, die sich aufreiben an den vielen kleinen Sorgen des Alltags, sagte Jesus einmal:
»Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?« Dann zeigt er auf das Feld vor ihnen und sagt: »Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch (König) Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.« Und er fährt fort: »Darum macht euch keine Sorgen für morgen, denn der morgige Tag wird seine eigenen Probleme mit sich bringen.«
Ist diese Rede Jesu nicht ziemlich unrealistisch und naiv? Muss man nicht sorgen, planen, organisieren? Und ist es nicht unangenehm, wenn man die eigenen Umstände nicht mehr fest in der Hand hat?
Jesus findet das nicht. Er hat seine Familie verlassen, hat Freunde um sich gesammelt und lebt von Tag zu Tag ganz im Vertrauen auf Gott, den er „Vater“ nennt. Und selbst wenn wir nicht so leben können oder wollen, wie Jesus das damals gemacht hat – wir können uns von ihm anstecken lassen, mehr im Hier und Heute zu leben und bewusster die vielen kleinen und größeren Dinge und Möglichkeiten zu sehen und ernst zu nehmen, von denen gilt: „Ergreife sie jetzt – oder du wirst sie nicht ergreifen, weil sie wieder weg sind!“ Und es wäre doch schade um so viel ungelebte Möglichkeiten!
Eine gesegnete Zeit, erfüllte Tage und einen wachen Geist für das, was heute dran ist !
Ihr/Euer Pastor Schnoor