Liebe Leserinnen und Leser

Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten ist Krisenzeit, ist Grundmodell von Krise überhaupt. Das, bzw. der-/diejenige, die das Ganze zusammenhielt, der Grundlage des Gemeinschaftslebens war – diese Größe ist nicht mehr da wie bisher. Das Neue, das sein wird, ist aber noch nicht da. Es ist noch nicht klar, wie das Neue sein wird. Krise, Zwischenzeit, Zeit des Wartens, Zeit der Weichenstellungen!

Wir kennen das Gefühl aus Todesanzeigen, in denen es heißt: „Er/Sie war der Mittelpunkt unserer Familie! Und unbewusst fragt man sich: Was passiert jetzt mit dieser Familie, die ihren Mittelpunkt verloren hat? Und im Grunde gibt es nur zwei Richtungen: Die Familie zerfällt in Einzelne und oder Kleingruppen, weil es kein Zentrum mehr gibt! Oder es bildet sich ein neues Zentrum, ein neues einigendes Band, und die Familie bleibt als Familie erhalten – anders, gewiss! Aber trotzdem!

Was auch immer Himmelfahrt sonst bedeuten mag – für die Freundinnen und Schüler Jesu ist Himmelfahrt Ausdruck für: Jesus ist nicht mehr körperlich anwesend wie bisher mit all dem, was dieser Umstand bedeutet!  Es gibt zwar eine Zusage, dass es ein neues, anderes, dauerhaftes Zentrum der Gemeinschaft geben wird, aber noch ist es nicht da, noch herrscht Krise!

Krise, der Zustand, wenn etwas Altes, Gewohntes zu Ende geht und noch nicht klar ist, ob es Katastrophe oder Neubeginn sein wird. Oder genauer, ob es Neubeginn durch eine Katastrophe hindurch oder an ihr vorbei sein wird. Denn Krise ist immer ein Durchgangsstadium. Es gibt immer ein Davor und es wird immer ein Danach geben!

Es gibt den Spruch: „Krise ist immer auch eine Chance!“ Ein Spruch, der so allgemein ist, dass immer auch Wahres daran ist. Allerdings ist es ein Spruch, der in der Krise zwar Mut machen soll, aber nicht wirklich tröstlich ist. Erst nach der Krise, im Rückblick, bekommen Krisen ihren Sinn, weil man erkennt: Ohne diese Krise wären manche notwendigen Veränderungen nicht eingetreten oder hätten sehr viel länger gedauert, weil man es sich in einer Sackgasse gemütlich gemacht hatte.

Das gilt für Einzelne, für Gruppen, Betriebe, Kirchen/Religionen und auch Staaten und Gesellschaften. Versäumnisse Fehler und schwierige Entwicklungen werden so lange nicht wahrgenommen oder unterschätzt, bis es knallt, und das alte Modell nicht mehr funktioniert.

Himmelfahrt steht für alle Termine, an denen ein alter Zustand zu Ende geht! Und dann ist Krisenzeit, das Warten und das Ringen um etwas Neues. Eine sehr wichtige Zeit, denn nur in ihr lassen sich grundlegende Veränderungen erreichen, die dann zur Grundlage des Neuen werden – bis zur nächsten Krise!

So war es damals. Jesus war körperlich nicht mehr da. Die Christinnen und Christen, die erst langsam zu solchen wurden, waren zuerst allein zurückgeblieben. Und dann machen Sie Erfahrungen miteinander und mit der Erinnerung an Jesus und mit einer Kraft, die sie „Heiliger Geist“ nennen werden, die nicht verfügbare Bewegung, der plötzliche Umschwung aus Resignation, die zündende Idee für Neues, die Tür, die sich öffnet zu einem neuen Weg. Die Erfahrung von Pfingsten, die keineswegs auf dieses eine verlängerte Wochenende im Jahr beschränkt ist, sondern an jedem Tag geschehen kann! Aber wir können das nicht machen, wir können es nur ergreifen, wenn es geschieht! Und wir können versuchen, offen dafür zu werden, dass es geschieht, und keine Angst davor zu haben, obwohl Krisen immer auch Angst machen. Das Konzept „Heiliger Geist“ ist das Grundvertrauen auch in Krisen, das etwa Matthäus im allerletzten Vers seine Evangeliums zum Ausdruck bringt, wo der auferstandene Christus sagt: „Seid gewiss: Ich bin immer bei euch, jeden Tag, bis zum Ende der Welt.“

Was Heiliger Geist z.B. sein kann, macht die folgende kleine Geschichte deutlich:

Ein Weiser lehrte seinen Sohn, das Eine hinter der Erscheinung des Vielen zu sehen. Er tat das mittels verschiedener Parabeln wie dieser: Eines Tages sagte er zu seinem Sohn: “Tu dieses Salz in Wasser und komm morgen wieder zu mir zurück.” Der Junge tat wie ihm geheißen. Am nächsten Tag sagte sein Vater: “Bitte bring mir das Salz, das du gestern ins Wasser getan hast.” “Ich kann es nicht finden”, sagte der Junge. “Es hat sich aufgelöst.” “Koste das Wasser von dieser Seite des Tellers”, sagte der Weise. “Wie schmeckt es?” “Salzig.” “Nimm einen Schluck aus der Mitte. Wie schmeckt es?” “Salzig.” “Koste es von der anderen Seite des Tellers. Wie schmeckt es?” “Salzig.” “Gieß das Wasser aus”, sagte der Vater. Der Junge tat es und sah, dass das Salz wieder zum Vorschein kam, als das Wasser verdunstet war. Dann sagte der Weise: “Du kannst Gott hier nicht erkennen, mein Sohn, aber in Wirklichkeit ist er hier.”

Aber der Heilige Geist hat es in einer Welt und in der Kirche nie so leicht gehabt, denn wir Menschen mögen feste Strukturen, Sicherheit und klare Verhältnisse. Wir mögen eine klare Verteilung von „Gut“ und „Böse“! Und dann Kommt der Heilige Geist auch so manches Mal als Krise daher, um den theoretischen Grundsatz der Reformation „Ecclesia semper reformanda“ = „Kirche ist immer reformierungsbedürftig“ (oder „Kirche muss immer reformiert werden“!) in der Praxis umzusetzen! Auch dazu eine kleine Geschichte!

“Angeklagter”, sagte der Großinquisitor, “Ihnen wird vorgeworfen, Menschen ermutigt zu haben, Gesetze, Traditionen und Regeln unserer heiligen Religion zu brechen. Was haben Sie dazu zu sagen?” “Ich bekenne mich schuldig, Euer Ehren.” “Sie werden beschuldigt, des Öfteren in Gesellschaft von Ketzern, Prostituierten, gemeinen Sündern, wucherischen Steuereinnehmern, den kolonialen Eroberern unseres Volkes, kurz dem Abschaum der Gesellschaft gesehen worden zu sein. Was sagen Sie dazu?” „Ich bekenne mich schuldig, Euer Ehren.” „Man wirft Ihnen vor, öffentlich jene kritisiert und gebrandmarkt zu haben, die in der Kirche Gottes an oberste Stelle gesetzt wurden. Was sagen Sie dazu?” „Schuldig, Euer Ehren.” “Schließlich sind Sie angeklagt, die heiligen Lehrsätze unseres Glaubens revidieren, korrigieren und in Frage stellen zu wollen. Was sagen Sie dazu?” “Ich bekenne mich schuldig, Euer Ehren.”

“Wie heißen Sie, Gefangener?” “Jesus Christus, Euer Ehren.”

Und jetzt, wo wir so kurz vor Pfingsten sind, und die 3. Pandemiewelle so schön am Abebben ist, frage ich mich, und Dich und Sie: Wie wird das Neue nach der Krise aussehen? Denn ich hoffe doch sehr, es wird mehr und anders als nur die Neuauflage des Alten! Auch wenn es schwer ist: Lasst uns offen sein für Neues, denn der Heilige Geist ist auch die Kraft der Kreativität und braucht Menschen, die offen sein können auch für ungewohnte Entwicklungen, bei denen noch nicht alles sicher ist!

Habt eine gesegnete Zeit und Phantasie für die Zeit nach der Krise!

Euer Pastor Schnoor