Liebe Leserinnen und Leser
Pfingsten, so heißt es, sei der Geburtstag der Kirche! Das ist eine schöne Aussage, aber
ich bin wahrscheinlich nicht der Einzige, der in seinem Leben schon eine ganze Reihe
sehr unterschiedlicher Geburtstage gefeiert hat. Vom Kindergeburtstag, ganz klassisch
mit Verkleiden, Topfschlagen und anderen Spielen, über Gartengeburtstage (ich habe
im Sommer Geburtstag), Mitbring-Feten in der Studentenzeit und diversen Formen
und Größen von Geburtstagen in den Jahren als Erwachsener. Zu einigen hatte ich
richtig Lust, andere waren nur lästig. Was für eine Art Geburtstag ist nun eigentlich
Pfingsten?
Liest man die Pfingstgeschichte in Apostelgeschichte 2, dann ist da eine Menge
Bewegung. Die kleine Gruppe der Anhänger*innen Jesu traf sich erst hinter
verschlossenen Türen. Und dann wird diese etwas traurige Veranstaltung massiv
gestört und verwandelt, plötzlich wehte ein „frischer Wind“ und diejenigen, die vorher
lieber unter sich blieben, öffnen die Türen und gehen nach draußen und machen sich
verständlich und werden verstanden. Und etwas Neues beginnt.
Unser heutiges Pfingstfest ist da meist doch ziemlich anders. Nun ja, die Dame „Kirche“
ist ja schon ziemlich in die Jahre gekommen und das Ganze wirkt manchmal wie
„Dinner for one“, der 90. Geburtstag der alten Dame, deren Freunde eigentlich schon
alle verstorben sind, aber vom Butler James vertreten werden, damit alles so ist, wie
es seit Jahren war. Ein Klassiker an Silvester! Alles ist wie in jedem Jahr, die Wiederkehr
des Gewohnten. Mit einem Sturm, der in unsere Gottesdienste fährt, rechnet offen
gestanden niemand. Das war damals, beim ersten Pfingstfest, allerdings wohl auch
nicht anders, denn auch da geschah es überraschend!
Aber manchmal ist dann doch mehr los, als erwartet; etwa Pfingsten 2019, als wir auf
dem Marktplatz einen Zeltgottesdienst und ein Fusionsfest gefeiert haben – und es
eine wirkliche gemeinsame Feier für Menschen aus vorher unterschiedlichen
Gemeinden war. Das „Wir“ wurde bei diesem Fest plötzlich größer, und das ist wohl
eine der Wirkungen dessen, was wir „Heiliger Geist“ nennen. Ein Geist, der ein
Bewusstsein und eine Entspanntheit dafür schafft, wer wir sind, was uns prägt. Und wo
dieses Bewusstsein lebendig ist, können wir eben entspannter miteinander umgehen
und feiern, weil wir keine Angst haben müssen, unsere Identität zu verlieren. Vielleicht
ein wenig wie in der Geschichte von Hirten und ihren Herden:


Ein Besucher in Palästina traf an einer Wasserstelle auf drei Hirten, die ihre Tiere nicht
nach Herden getrennt, sondern gemeinsam tränkten. Wie sollte da der einzelne seine
Schafe wieder herausfinden? Als sich die Tiere sattgetrunken hatten, nahm der eine
Hirte seinen Stab und rief: “Men – ah!” (folgt mir!). Und sogleich schloss sich ihm seine
Herde an. Dann rief der zweite Hirte, und das gleiche geschah.
Der Besucher fragte nun den letzten Hirten: “Würden deine Schafe wohl auch mir
folgen?” Der Mann schüttelte den Kopf: “Versuch es!” Daraufhin zog der Fremde den
Mantel des Hirten an, band sich den Turban um, griff den Hirtenstab und rief:

“Men- ah!” Aber kein Tier folgte. “Nur wenn ein Tier krank ist”, lächelte der Hirte, “folgt es
dem Nächstbesten.”

Natürlich ist es noch ein weiter Weg, und es wird noch eine Reihe von Pfingstfesten,
Geburtstagen von Kirche und Wirken des Heiligen Geites benötigen, bis wir den Grad
an Geistesgegenwart erreicht haben werden, wie die Menschen eines armen Dorfes in
den Bergen, das so gerne wieder eine Kirche haben möchte, aber dabei genau weiß,
dass „Kirche“ mehr ist als Gebäude.


Das Dorf in den Bergen ist sehr arm. Die Bauern haben nur kleine Felder. Und die
liegen alle an steilen Hängen. Alles muss von Hand gemacht werden. Das gibt viel
Arbeit und wenig Geld.
Einmal stand im Dorf eine kleine Kirche aus Holz. Eine Kerze, die nicht gelöscht wurde,
steckte sie in Brand. Seither ist dort, wo die Kirche stand, ein leerer Platz, und die
Leute halten im kleinen Schulzimmer Gottesdienst. Das Dorf ist so klein, dass alle
darin Platz haben. Natürlich hätten die Leute gern wieder eine Kirche, aber zuerst
müssen sie sparen. Eine Kirche kostet Geld. Eine alte Frau stirbt. Alles ersparte Geld
schenkt sie dem Dorf für eine neue Kirche. Da hören die Leute gerade vom großen
Erdbeben in Italien. Sie sehen schreckliche Bilder, lauter eingefallene Häuser. Sie
sehen, es sind armselige Dörfer; wie ihr eigenes. “Wir wollen eine Kirche bauen und
dort ist solche Not?” sagen sie. Und rasch entschlossen schicken sie das ganze Geld
ins Erdbebengebiet. Die eigene Kirche haben die Leute im Dorf aber nicht vergessen.
Sie sparen weiter, und langsam ist genug Geld zusammengekommen, um mit dem
Bau beginnen zu können.
“Große Not der Flüchtlinge”, steht in der Zeitung. “Niemand will die Migranten
aufnehmen.” “Können wir eine Kirche bauen, wenn Flüchtlinge keine Heimat haben?”
Und ohne Zögern nehmen sie das ganze Geld, setzen drei alte Häuser instand, um in
ihnen Flüchtlinge aufzunehmen. Und wieder beginnen sie mit dem Sparen. Aber jedes
Mal, wenn sie Geld haben, hören sie bestimmt wieder von einer Not, und die Bauern
im Dorf helfen jedes Mal mit ihrem ganzen Geld.
“Wir haben keine Kirche”, sagen sie, “aber es gefällt uns doch in unserem Dorf. Wir
sind wie eine große Familie.” Auf dem Platz, wo einmal die Kirche stehen soll, spielen
die kleinen Kinder.

Das eigentliche Wirken des Geistes scheint mir dabei zu sein, dass diese Prioritäten als
freie Entscheidung gesetzt werden und nicht die moralische Keule der Marke
„Christen/Kirche haben gefälligst sozial zu handeln statt Gebäude zu bauen!“
geschwungen wird. Darum sind eigentlich alle Pfingstlieder Lieder mit der Bitte um den
Heiligen Geist, der unseren Horizont erweitert und in uns Offenheit und Vertrauen und
Mut und Rücksichtnahme und Liebe und so vieles mehr anstößt und wachsen lässt, das
wir nicht selbst machen können, für das wir uns aber offen halten können, selbst wenn
es nicht das Altvertraute sein sollte!

Habt eine gesegnete Zeit und Offenheit für das,
was der Geist so „außerplanmäßig“ anstoßen kann

Ihr/Euer Pastor Schnoor