Liebe Leserinnen und Leser

Nein, ich will Euch nicht in den Kindergottesdienst entführen, aber meine heutige Geschichte handelt von Zachäus! Kennt Ihr nicht? Dann seid Ihr nicht im Kindergottesdienst gewesen oder es ist schon sehr lange her! Denn Zachäus ist eine der Geschichten aus dem Kindergottesdienst oder der Jungschar. Aber egal, die Geschichte ist immer wieder schön und steht Lukas 19, 1-10 und hört sich in der Fassung der BasisBibel so an:

Jesus kam nach Jericho und ging durch die Stadt. Dort lebte ein Mann, der Zachäus hieß. Er war der oberste Zolleinnehmer und sehr reich. Er wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus war. Aber er konnte es nicht, denn er war klein, und die Volksmenge versperrte ihm die Sicht. Deshalb lief er voraus und kletterte auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus sehen zu können – denn dort musste er vorbeikommen.

Als Jesus an die Stelle kam, blickte er hoch und sagte zu ihm: »Zachäus, steig schnell herab. Ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.« Sofort stieg Zachäus vom Baum herab. Voller Freude nahm er Jesus bei sich auf.

Als die Leute das sahen, ärgerten sie sich und sagten zueinander: »Bei einem Sünder ist er eingekehrt!«

Aber Zachäus stand auf und sagte zum Herrn: »Herr, die Hälfte von meinem Besitz werde ich den Armen geben. Und wem ich zu viel abgenommen habe, dem werde ich es vierfach zurückzahlen.«

Da sagte Jesus zu ihm: »Heute bist du gerettet worden – zusammen mit allen, die in deinem Haus leben. Denn auch du bist ein Nachkomme Abrahams!

Der Menschensohn ist gekommen, um die Verlorenen zu suchen und zu retten.«

Eine Geschichte, die dazu einlädt, an ganz verschiedenen Stellen „hängen“ zu bleiben, das macht sie für mich zu einer guten Geschichte. Wo Seid Ihr, wo sind Sie eben beim Lebens hängen geblieben? Oder seid Ihr nicht hängen geblieben, weil Ihr die Geschichte schon zu gut kennt und wisst, wie es weiter geht?

Ich jedenfalls bin dieses Mal an zwei Punkten „hängen“ geblieben:

  1. Der reiche, kleine und sozial ausgegrenzte Mann, den die anderen nicht vorlassen, als er auch den Wanderprediger sehen will, der gerade Tagesgespräch ist.  Was ist da nicht alles in diese Szene hinein fantasiert worden, wie die Menschen sich freuen, dem unbeliebten Zolleinnehmer, der mit den römischen Besatzern kollaboriert, mal eins auswischen zu können, indem man ihn nicht durchlässt. Und vielen Menschen fallen dann Zeitgenossen ein, bei denen man das gerne auch mal machen würde. Zachäus wird hier zu einem Klischee, zu einer dunklen Folie für all die unbeliebten Menschen, die sich auf skrupellose und auch nicht immer moralisch saubere Weise Reichtum angehäuft haben, und denen man gerne mal eins auswischen würde. Ich erkenne mich in diesem Denken leider manchmal auch wieder!
  2. Aber dieser Zachäus ist kein Klischee, es ist ein Mensch mit einer Sehnsucht. Ich habe keine Ahnung, warum Zachäus Jesus sehen will. Vielleicht ist es reine Neugier, so als wenn heute ein richtiger Prominenter nach Süderbrarup kommt. Ich erinnere mich noch an den vollen Marktplatz beim Namika-Konzert vor der Pandemie. Vielleicht war da auch eine Sehnsucht in ihm?! Ich weiß es nicht. Jedenfalls geht er nicht frustriert nach Hause, sondern steigt auf einen Maulbeerfeigenbaum. Damit tut er zweierlei: Er wird da oben sichtbar als Einzelner! Und er, der stadtbekannte Oberzolleinnehmer macht sich öffentlich zum Affen. Was hat er eigentlich erwartet? Ich weiß es nicht, die Geschichte schweigt darüber.

Ich weiß nicht, warum Zachäus das getan hat, was er sich davon versprochen hat, Jesus zu sehen. Jedenfalls nimmt er es auf sich, sichtbar zu werden!

Und Jesus nimmt ihn wahr, als er an dem Baum vorbei kommt und ruft ihn mit Namen.

Und wieder Fragen, die die Geschichte nicht beantwortet. Woher kennt Jesus Zachäus? Ist er ihm schon begegnet oder hat er von ihm gehört und Leute aus der Menge reden über den kleinen Zöllner auf dem Baum? Wir erfahren es nicht!

Zachäus jedenfalls wird als Person namentlich angesprochen und Jesus lädt sich bei ihm ein, und das ist eine Ehre für Zachäus und er hat es ja auch so verstanden (Voller Freude nahm er Jesus bei sich auf.).

Jesus scheint Zachäus als Menschen und nicht als Klischee gesehen zu haben, als einen Menschen, der sich sichtbar macht. Ist Jesus neugierig?  Oder ist es Teil der Verkündigung: Ich quartiere mich bei denen ein, mit denen die anderen nichts zu tun haben wollen! Dann wäre Zachäus doch wieder ein Klischee für Jesus,– und das glaube ich nicht – weil die Geschichte nun einen Kontrast aufbaut zwischen der Menge der Schaulustigen auf der einen und Zachäus und Jesus auf der anderen Seite.

Die Leute sind empört: Wie kann Jesus nur mit „so einem“, einem Sünder, Kontakt haben? Das geht doch nicht. Einer der wunderbaren Punkte, an denen man selbst darüber nachdenken kann, mit wem man denn heutzutage nach öffentlicher Meinung als „anständiger Mensch“ keinen näheren Kontakt pflegen darf! Mir fallen da so einige ein. Ich vermute bei Euch und Ihnen ist das nicht anders! Klischee pur!

Auf der anderen Seite das Gespräch im Haus des Zachäus. Und wieder erfahren wir sehr vieles nicht aus der Geschichte. Worüber haben Zachäus und Jesus sich eigentlich unterhalten? Alle Details, alles was heutige Journalisten interessieren würde, bleibt ausgeblendet. Nur die Wirkung der Begegnung auf Zachäus ist überliefert. Er gibt von seinem Reichtum zurück und bemüht sich, nach den damaligen Regeln „reinen Tisch“ mit seiner Vergangenheit zu machen.

Und Jesus, er macht deutlich, dass er Zachäus als Menschen sieht, dem sich ein neuer Weg zum Leben eröffnet hat, der aus seiner Sackgasse herausfinden kann. Er ist zwar ein Beispiel, wofür Jesus eigentlich wirklich da ist, ein Klischee ist er nicht!

Und am Ende bleibt die Frage an mich und Sie/Euch als Lesende:

Gehöre ich zu denen, die einen neuen Weg zum Leben aus Sackgassen brauchen? Bin ich bereit, mich für meine Sehnsucht sichtbar zu machen? Oder ist das eine nette, vielschichtige, alte Geschichte, die mit mir nicht viel zu tun hat?

Für Sie und Euch gilt: Die Frage müsst Ihr Euch schon selbst beantworten! Und für mich gilt: Ich muss Euch nicht alles verraten!

Aber ich wünsche Ihnen und Euch eine Woche mit guten, heilvollen Begegnungen – ob nun mit oder ohne Baum!

Ihr/Euer Pastor Schnoor