Liebe Leserinnen und Leser

Am vergangenen Sonntag ging es um einen König aus dem Alten Testament, Hiskia, der ein frommer und guter König war, trotzdem krank wurde, dem der Prophet Jesaja sagte, er werde bald sterben, der zu Gott betete und dem dann noch weitere 15 Lebensjahre Aufschub gegeben wurden.

Und es ging in meiner Predigt darum, dass Beten und Gottvertrauen kein Allheilmittel für Gesundwerden sind. Denn auch in der Bibel, starben Menschen, obwohl sie gebetet hatten und blieben manche Menschen krank, auch wenn Jesus andere heilte. Und sie blieben nicht krank, weil sie schlechter waren oder weniger hofften oder oder oder…

Viele Menschen wollen gerne wissen, warum Dinge geschehen in ihrem Leben. In den seltensten Fällen bekommen wir dafür eine überzeugende Antwort. Denn die Antworten sind entweder allgemein, so allgemein, dass sie im Einzelfall nicht trösten, sondern manchmal sogar zynisch wirken (Beispiel: Die Sterblichkeit des Menschen ist notwendig, weil die Erde sonst noch mehr übervölkert wäre! Das ist allgemein richtig, aber sagen Sie das einmal einem/r Krebskranken oder den Angehörigen!), oder sie sind Behauptungen, deren Wahrheitsgehalt man kaum überprüfen kann (Gott oder ein Schicksal wollen es, aus welchem Grund auch immer!). Und trotzdem kreisen oft die „warum“-Fragen in unserem Kopf und fixieren uns immer stärker auf unsere Krankheiten oder das, was uns fehlt. Verständlich, aber gleichzeitig blenden wir damit ganz viel Leben aus, werden blind dafür, was es – trotz Krankheit – alles an Leben in unserem Leben gibt. Auf verschiedene Ebenen von „Blind-Sein“ beziehen sich die verschiedenen Heilungsgeschichten der Bibel. Es wird zwar jeweils körperliche Heilung berichtet, aber wichtiger noch, ist die innere Veränderung, die der/die Geheilte erfährt oder auch nicht erfährt (siehe die Geschichte von den 10 Aussätzigen, in denen nur einer zurückkehrt und Gott dankt. „Wo sind die anderen Neun?“). Aber nicht nur in der Bibel findet sich das Thema, wie eine (überstandene) Krankheit den Blick verändern kann. Ein, wie ich finde, wunderbares Beispiel ist die kleine Geschichte „Blindenheilung“:

Vierzehn Tage hatte es gedauert. Heute war der erste Tag, an dem er sich etwas besser fühlte. Er lag im Bett, schaute halb schläfrig aus dem Fenster, beobachtete für eine Weile das Spiel von Sonne und Wind im frischen Grün der Bäume.

Er versuchte sich zu erinnern. Er war nach Hause gekommen mit hohem Fieber, hatte sich ins Bett legen müssen. Seine Frau hatte noch am späten Abend den Arzt gerufen. Es musste ernst mit ihm gestanden haben. Der Arzt war oft gekommen. Meist hatte er es nur verschwommen wahrgenommen. Hätte er sterben können? “Weg vom Fenster”, wie sein Sohn manchmal sagte. Komische Sache, sich vorzustellen, dass man die Blätter da nicht mehr sehen sollte.

Du hättest sterben können. Er drehte sich auf den Rücken, starrte die Decke an, als könne er sich dadurch besser konzentrieren. Er hob seine Hände vor die Augen. Die Haut war weiß und schlaff. Kranke Hände. Aber er würde sie wieder brauchen können. Die Finger ließen sich beugen und strecken. Mit Wohlbehagen nahm er es wahr.

Die Nächte vor allem waren schlimm gewesen. Abends war das Fieber steil gestiegen, schlimme Atemnot war dazugekommen, Angst hatte ihn gepackt, ihm das Herz zusammengepresst. Zwei-, dreimal hatte seine Frau nachts das Bettzeug wechseln müssen, so sehr hatte er geschwitzt.

Wann hatte sie denn geschlafen? Es fiel ihm nicht ein. Immer, so hatte er das Gefühl, war sie dagewesen. Hatte ihm ab und zu die Lippen angefeuchtet, die Kissen gerichtet, ihn zur Toilette geführt, das Licht abgedunkelt, wenn es ihm zu grell war, ihm die Tasse an den Mund gehoben. Ganz still war sie durchs Zimmer gegangen. Hatte neben ihm gestanden. Seine Hand gehalten.

Irgendetwas kam in ihm auf. Er konnte es noch nicht genau umschreiben. Sie hatte seine Hand gehalten. Jedes Mal, wenn er wach wurde, hatte er das gemerkt. Es hatte ihm gutgetan. Und sie hatte alles ganz still getan. Mit leisen guten Worten. Behutsam. Und immer war sie dagewesen.

Die Tür zur Küche öffnete sich. Sie kam mit einer Tasse herein. “Schau, wie verschieden das Grün ist an den Bäumen da draußen”, sagte er. “Ja? Das hast du früher nie gesehen”, antwortete sie. “Ich habe vorher manches nicht gesehen.” Er nahm ihre Hand und schaute in ein übermüdetes Gesicht mit liebevollen Augen.

Neu sehen lernen, manchmal braucht es eine Krankheit dazu oder eine andere Krise im Leben, um den Blick von den Problemen auf die wunderbaren, scheinbar selbstverständlichen Dinge, die eben nicht selbstverständlich sind, zu richten. Manchmal hilft mir aber auch schon ein einfacher Text wie der folgende!

Geheimnis der Liebe

In die Natur ist ein Geheimnis der Liebe eingebaut. Ich finde es fantastisch: Das Klopfen meines Herzens, hundertdreitausend Mal am Tage, gratis. Es ist nicht zu glauben, ich atme jeden Tag zwanzigtausend Mal, und für die 137 cbm Luft, die ich dazu nötig habe, wird mir keine Rechnung ausgestellt. Die wesentlichen Dinge des Lebens sind umsonst: Sie werden dir gratis gege­ben.

Ich frage mich, wie viele Flüge von wie vielen Bienen nötig waren für das kleine Löffelchen goldgelben Honigs zu meinem Frühstück? Und wie viele Blumen dazu blühten? Und wer die Sonne scheinen ließ, denn wenn es reg­net, fliegen sie nicht.

Der herrliche Apfel, woran ein Apfelbaum die ganze Saison gearbeitet hat. Für jedes Stück Brot, das ich esse, hat jemand ein Saatkorn in die Erde gelegt. Ein Wesen, größer als der Mensch, hat in das Saatkorn den Überfluss blü­henden Getreides gelegt. Ich liebe das Saatkorn, das in der warmen Umar­mung der Muttererde emporwächst, um Scheunen voll Getreide zu geben für das Brot der Menschen. Ich liebe das Brot, das der Bäcker mit Liebe backt. Das Brot ist eine Gabe von Himmel und Erde, durch Gott an die Menschen und durch die Menschen an Menschen gegeben.

Ich fühle mich geliebt bis in meine Zehenspitzen. Ich möchte danken, aber sag mir, wem ich danken muss! Keinem Präsidenten oder General, keinem Professor oder Technokraten — Gott will ich danken! Gottes Gesetze sind Gesetze der Liebe.

Und damit habe ich dann doch noch das Thema „Erntedank“ in diese Andacht hinein bekommen, denn genau darum geht es: Im Dank meine Welt und mein Leben anders sehen und überdenken und den Überfluss mit anderen teilen lernen, egal ob es um Lebensmittel oder Zeit oder etwas anderes geht! Ich jedenfalls brauche das immer wieder!

Ihnen und Euch weiterhin einen gesegneten Herbst! Ihr/Euer Pastor Schnoor