Liebe Leserinnen und Leser
Sagt Ihnen und Euch „Gethsemane“ etwas? Für diejenigen, bei denen die Antwort „Nein!“ lautet, ein kleiner Hinweis. Gethsemane ist ein Olivenhein und Garten am Ölberg direkt bei Jerusalem. Hape Kerkeling hat in seinem Buch „Der Junge muss an die frische Luft“ über diesen Garten geschrieben: Für eine ZDF-Dokumentation „Unterwegs in der Weltgeschichte“ bereiste er Israel und wollte diesen Garten besuchen. Nachdem es einige Mühe gekostet hatte, an den griesgrämigen Wärter vorbei in den Garten gehen zu dürfen, empfand er „einen der unvergesslichsten Momente“ seines Lebens. „Tatsächlich empfinde ich es als eine Art Gnade, meinen Fuß in dieses gut bewachte Heiligtum zu setzen. Der Garten besitzt so etwas wie eine eigenständige Wirksamkeit, die unabhängig von meinem Wünschen, Wollen, Denken oder Betrachten arbeitet. Mit einem Mal wird etwas in mir sanft ‚verrückt‘ oder, besser gesagt, gerade gerückt. … er festigt meinen Glauben.“
Bis heute wirkt, was dieser Garten birgt. Ein Garten, benetzt mit den Tränen Jesu, die dort heute mit Blick auf die Stadt Jerusalem zu einer Kirche (Dominus flevit= der Herr weint) in Tränenform erstarrt sind. Ein Olivenhain, wie ihn niemand schöner mit impressionistischem Farbenspiel malen konnte als Vincent van Gogh. Ein Wäldchen aus knorrigen Olivenbäumen, aus denen weltweit verbreitet mehr Olivenholzkreuze geschnitzt wurden, als der Baumbestand je hergibt – Eine wunderbare Vermehrung des Trostholzes. Ein Garten der Gottesbegegnung. (Übernommen von Otto Weymann, Werkstatt für Liturgie und Predigt, März 2022, Seite13)
Dieser Garten spielt eine zentrale Rolle am letzten Abend im Leben Jesu, bevor er verhaftet und verhört wird und am Tag darauf hingerichtet werden wird. Der Abend des letzten Abendmahls mit seinen Freunden, des Abends, an dem Judas ihn verraten und Petrus ihn verleugnen wird, obwohl er doch versichert hatte, er wolle notfalls mit Jesus sterben.
Und dann beginnt die Geschichte im Garten Gethsemane, wie sie Matthäus überliefert hat und wie sie Predigttext des vergangenen Sonntags war. Da die Anzahl der Gottesdienstteilnehmer*Innen am Sonntag gut überschaubar war, habe ich keine Bedenken, noch einmal über den Text nachzudenken: (Matthäus 26, 36-46)
36 Dann kam Jesus mit seinen Jüngern zu einem Garten, der Getsemani hieß. Dort sagte er zu seinen Jüngern: »Bleibt hier sitzen. Ich gehe dort hinüber und bete.«
37 Er nahm Petrus und die beiden Söhne des Zebedäus mit. Plötzlich wurde er sehr traurig, und Angst überfiel ihn.
38 Da sagte er zu ihnen: »Ich bin verzweifelt und voller Todesangst. Wartet hier und wacht mit mir.«
39 Jesus selbst ging noch ein paar Schritte weiter. Dort warf er sich zu Boden und betete: »Mein Vater, wenn es möglich ist, dann erspare es mir, diesen Becher auszutrinken! Aber nicht das, was ich will, soll geschehen – sondern das, was du willst!«
40 Jesus kam zu den drei Jüngern zurück und sah, dass sie eingeschlafen waren. Da sagte er zu Petrus: »Könnt ihr nicht diese eine Stunde mit mir wach bleiben?
41 Bleibt wach und betet, damit ihr die kommende Prüfung besteht! Der Geist ist willig, aber die menschliche Natur ist schwach.«
42 Dann ging er ein zweites Mal einige Schritte weg und betete: »Mein Vater, wenn es nicht anders möglich ist, dann trinke ich diesen Becher. Es soll geschehen, was du willst.«
43 Als er zurückkam, sah er, dass seine Jünger wieder eingeschlafen waren. Die Augen waren ihnen zugefallen.
44 Jesus ließ sie schlafen. Wieder ging er weg und betete ein drittes Mal mit den gleichen Worten wie vorher.
45 Dann ging er zu den Jüngern zurück und sagte zu ihnen: »Schlaft ihr immer noch und ruht euch aus? Seht: Die Stunde ist da! Jetzt wird der Menschensohn in die Hände der Sünder ausgeliefert.
46 Steht auf, wir wollen gehen. Seht: Der mich verrät, ist schon da!«
So vieles, was in dieser Geschichte mitschwingt, Themen, die sich damit verbinden. Wenn Jesus seine 3 engsten Freunde bittet, mit ihm zu beten, dann steckt darin auch das, was so viele Menschen derzeit zu Demonstrationen für den Frieden in der Ukraine auf die Straßen treibt. Die Menschen wollen nicht bei ihrem Gefühl von Hilflosigkeit stehen bleiben, sondern zeigen: Ihr Ukrainer seid nicht allein, in dem, was da geschieht! Das scheint sich Jesus damals von seinen Freunden erhofft zu haben – er wurde enttäuscht, sie hielten nicht durch!
Dreimal betet Jesus intensiv und unmerklich verändert sich das Gebet und es verändert ihn. »Mein Vater, wenn es möglich ist, dann erspare es mir, diesen Becher auszutrinken! Aber nicht das, was ich will, soll geschehen – sondern das, was du willst!« So beginnt es, mit der Bitte, nicht sterben zu müssen. Jesus willigt zwar ein, es zu tun, wenn es nun einmal Gottes Wille ist, aber sein eigener Wille ist es nicht! Und dann wird daraus: »Mein Vater, wenn es nicht anders möglich ist, dann trinke ich diesen Becher. Es soll geschehen, was du willst.« Jesus sieht ein, dass es nicht anders geht und er stimmt zu. Aber er braucht mehrere „Gebetsrunden“ bis er ganz hinter seiner Aussage stehen kann.
Veränderungen zeigen sich auch, wenn er zwischendurch zu seinen Jüngern geht. Beim ersten Mal empfindet er mindestens tiefe Enttäuschung darüber, dass seine Jünger ihm nicht einmal diesen einen Wunsch, ihn durch diese schweren Stunden zu begleiten, erfüllen können und ihn allein lassen. Vielleicht ist er auch zornig gewesen. Beim zweiten Mal lässt er sie schlafen und weiß, er hat seinen Weg allein zu gehen. Beim dritten Mal weckt er sie, weil die Geschehnisse beginnen. Die anfängliche Angst vor dem, was ihm bevorsteht, hat sich verändert. Jesus ist bereit den Weg zu gehen, den er als Weg Gottes sieht. Für mich liegt darin die größte Kraft des Gebets, es verändert meine Sichtweise und gerade dadurch bekomme ich neue Kraft. Dass das kein bloßes Gerede ist, habe ich am stärksten vor einer ganzen Reihe von Jahren erlebt, als ich abends vor dem Einschlafen plötzlich eine heftige Panikattacke hatte. Ich habe damals so lange gebetet, bis die Angst wieder vergangen war. Diese Angst ist bei mir niemals wiedergekommen und „Gethsemane“ ist für mich seither eine der Schlüsselgeschichten zum Thema Gebet, aber auch zum Umgang mit der Angst und lehrt mich: Bleib nicht bei dir und deiner Angst stehen, bring sie vor Gott und lass dich in deiner Haltung verändern. Das geht selbst bei Jesus nicht von jetzt auf gleich, es ist ein Prozess des Vertrauens, das wachsen will gegen die Angst, der die Sicht erweitert auf das, was ich bei Fixierung auf die Angst nicht sehe. Bei Jesus geschieht es, indem er seinen eigenen Willen mit dem Gottes in Einklang bringt, weil er zutiefst überzeugt ist, dass Gottes Wille das Gute will, selbst wenn ich das im Augenblick selbst nicht als „gut“ erkennen kann. Gethsemane, sich vom Vertrauen gegen die Angst leiten lassen. Das immer wieder neu zu lernen, wünsche ich uns!
Ihr/Euer Pastor Schnoor