Liebe Leserinnen und Leser
Wir leben in interessanten Zeiten („ich persönlich würde gerne mal wieder in langweiligen Zeiten leben“) und so überraschte es mich nur mäßig, dass ich am vergangenen Sonntag doch noch dazu kam, einen Gottesdienst zu feiern, weil das Corona-Virus den Einfall hatte, einen meiner Kollegen persönlich kennenlernen zu wollen. Zu meiner Freude war einer der biblischen Texte als Predigttext vorgesehen, der zu meinen persönlichen Lieblingen gehört. So hatte ich dann auch gleich wieder ein Thema für diese Wochenandacht. Der Text steht Markus 10. Es eine der Geschichten auf dem Weg von Jesus und seinen Jüngern nach Jerusalem. Aber lesen Sie selbst:
35Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen zu ihm: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, was wir dich bitten werden. 36Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue? 37Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. 38Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? 39Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; 40zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das zu geben steht mir nicht zu, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. 41Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. 42Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. 43Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; 44und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. 45Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.
Was meint Ihr, meinen Sie? Welchen Teil dieser Geschichte mag ich besonders und wie ist das bei Ihnen und Euch?
Da wäre einmal diese Szene mit den beiden „Donnersöhnen“ Jakobus und Johannes, die Jesus da auf die Tour um etwas bitten, wie man es von kleinen Kindern kennt: „Du, Papa, tust du mir mal einen Gefallen?“ Und dann kommt das Kind erst auf Rückfrage damit raus, um was es wirklich geht! Bei unseren beiden geht es um die Ehrenplätze direkt bei Jesus im Himmelreich. Sie waren von Anfang an dabei, immer im engsten Kreis, nur sie hatte Jesus mit Petrus auf den Berg der Verklärung mitgenommen, wo sie ein himmlisches Erlebnis hatten. Die Ehrenplätze haben sie verdient, meinen sie. Klappt nicht, von Jesus gibt es eine Absage und die anderen Jünger sind nun auch noch sauer auf die beiden. Wie im richtigen Leben, denn da sind die anderen meist auch sauer, wenn sich da jemand vordrängeln will. Dazu eine kleine Geschichte:
Ungerechte Aufteilung
Eine Frau hat ihr ganzes Leben für ihre zwölf Kinder eingesetzt. Zu einem Festtag lädt sie alle ihre Kinder ein. Sie backt einen großen Kuchen, in den sie alles hineintut, was sie an Zutaten hat. Aber auch all ihren Einsatz und ihre Liebe, mit der sie alle Kinder in gleicher Weise liebt. Dann setzt sie den Kuchen ihren Kindern vor und sagt: “Teilt ihn unter Euch.” Dann geht sie hinaus. Sofort nehmen sich die beiden Stärksten dreiviertel des Kuchens. Die anderen streiten sich um den Rest und geraten sich dabei in die Haare. An die beiden Stärksten aber wagt sich niemand heran. Als die Mutter wieder ins Zimmer kommt, wird sie traurig. Der Kuchen reichte für alle. Jeder bekäme genug. Jeder bekäme genug von ihrer Liebe. Jetzt aber ist Streit. Auf ihr Zureden erklären sich die beiden Stärksten bereit, von den Dreivierteln des Kuchens, die sie sich gesichert hatten, ein Viertel wieder abzugeben und unter die anderen zu verteilen. “Freiwillig”. Die Hälfte jedoch behalten sie für sich. Die andere Hälfte war für die zehn anderen bestimmt. Der Streit wird weitergehen.
Wenn Euch diese Geschichte wie ein Beispiel aus der Politik weltweit vorkommt, ist das kein Wunder, es beschreibt symbolisch den Umgang der Staaten bei der Verteilung der Güter dieser Welt. Und jedes Volk meint selbstverständlich, es habe diesen Teil verdient, so wie Jakobus und Johannes und die Anderen damals.
Und dann entwirft Jesus das Bild einer Gemeinschaft, wie er es sich für seine Anhänger vorstellt. Nicht danach schauen, dass ich bekomme, von dem ich denke, ich hätte es verdient, sondern darauf achten, was die Einzelnen oder Gruppen benötigen und sich dafür einsetzen, dass sie es bekommen. Möglich, dass ich dabei zu kurz komme – Jesus ist aber auch nicht friedlich hochbetagt im Altersheim vom Jerusalem verstorben, sondern hat sein Leben ziemlich früh und extrem schmerzhaft für die Menschen gegeben, damit keine/r gottfern sein muss. Das Modell von Gemeinschaft, das er entwickelt, ist ein Ideal. Ideale kann man nicht 1 zu 1 umsetzen. Aber man kann sich bemühen, in der Realität darauf zu achten, dass das, worum es Jesus geht, praktisch zum Zuge kommen kann, nämlich das Heil und das Wohl für alle.
Und auch dazu eine kleine Geschichte, die manche kennen werden. Aber Erinnerung tut oft gut!
Ein Rabbi bat Gott einmal darum, den Himmel und die Hölle sehen zu dürfen. Gott erlaubte es ihm und gab ihm den Propheten Elija als Führer mit. Elija führte den Rabbi zuerst in einen großen Raum, in dessen Mitte auf einem Feuer ein Topf mit einem köstlichen Gericht stand. Rundum saßen Leute mit langen Löffeln und schöpften alle aus dem Topf. Aber die Leute sahen blass, mager und elend aus. Es herrschte eisige Stille. Denn die Stiele ihrer Löffel waren so lang, dass sie das herrliche Essen nicht in den Mund bringen konnten.
Als die beiden Besucher wieder draußen waren, fragte der Rabbi den Propheten, welch ein seltsamer Ort das gewesen sei. Es war die Hölle.
Darauf führte Elija den Rabbi in einen zweiten Raum, der genauso aussah wie der erste. In der Mitte brannte ein Feuer und kochte ein köstliches Essen. Leute saßen herum mit langen Löffeln in der Hand. Aber sie waren alle gut genährt, gesund und glücklich. Sie unterhielten sich angeregt. Sie versuchten nicht, sich selbst zu füttern, sondern benutzten die langen Löffel, um sich gegenseitig zu essen zu geben. Dieser Raum war der Himmel.
Ich mag diesen zweiten Teil der Geschichte besonders, weil er auch uns als Kirche und als Christinnen und Christen immer wieder den Spiegel vorhält, was Jesus eigentlich meint, wenn wir mal wieder überzeugt sind, wir hätten uns irgendetwas verdient!
Ihr/Euer Pastor Schnoor