Liebe Leserinnen und Leser
Das letzte Wochenende war ein verlängertes mit freiem Montag. Wunderbar! Es war ein Wochenende, an dem man sich genau überlegen musste, wann man auf die Autobahn fuhr oder das 9 Euro-Ticket mit der Bahn probierte, sonst war es voll. Dass dieses Wochenende Pfingsten heißt, ist auch noch weitgehend allgemeiner Kenntnisstand, aber viel mehr dann meist auch nicht. Reicht ja, zu wissen, dass man Montag frei hat. Warum man frei hat, braucht man nicht zu wissen. Pfingsten ist das christliche Hauptfest, das inhaltlich am unbekanntesten ist. Und kirchliche Aussagen wie: Pfingsten ist die „Ausschüttung des Heiligen Geistes“ und „der Geburtstag von Kirche“ helfen auch nur begrenzt weiter. Dabei ist Pfingsten zentral für christlichen Glauben.
Was wüssten wir heute von Ostern und der Auferstehung Christi, wenn es Pfingsten nicht gegeben hätte? Wahrscheinlich nichts. Ostern wäre ein privates Ereignis Jesu und seiner kleinen Gemeinschaft von Frauen und Männern geblieben. Es brauchte den pfingstlichen Geist, um die Grenzen zu sprengen, damit die Osterbotschaft in alle Welt verkündet wird, damit die Evangelisten sie hörten und aufschrieben. Damit der Apostel Paulus sie hörte und in die weite Welt trug. Den Glauben, von dem er im Römerbrief schreibt: Dass es keine Verdammnis mehr gibt, dass uns die Schuld vergeben wird, dass wir trotz dieser Schuld leben werden. Es braucht den pfingstlichen Geist, damit wir bis heute die Osterbotschaft hören und weitererzählen. Pfingsten ist das Startsignal für die Verkündigung der Frohen Botschaft vom Sieg des Lebens über den Tod – vor zweitausend Jahren und an jedem neuen Pfingsten. Das ist das Wunder dieses Festes, das Wirken des Heiligen Geistes: Dass die Auferstehung zur Wirklichkeit unseres Lebens wird, der Auferstehungsglaube zum Fundament unseres Denkens, Fühlens und Handelns, zum tragfähigen Halt des Lebens.
Im 2. Jahrhundert nach Christus schreibt der Kirchenvater Athenagoras von Athen zur Bedeutung des Heiligen Geistes und von Pfingsten: „Ohne den Heiligen Geist ist Gott fern, bleibt Christus in der Vergangenheit, ist das Evangelium ein toter Buchstabe, die Kirche ein bloßer Verein.“ Deshalb ist Pfingsten für die Kirche und für jeden einzelnen Christen ein Glücksfall. Weil uns Gott durch den Heiligen Geist nahe ist, Christus uns in Gegenwart und Zukunft begleitet. Doch worin besteht denn das pfingstliche Glück genau? Es bewahrt uns davor – wie es der jüdische Literaturwissenschaftler George Steiner bezeichnete – „Samstagskinder“ zu bleiben oder immer wieder zu werden, die zwischen Karfreitag und Ostersonntag stecken geblieben sind. Pfingsten ist da, wo Ostern in unseren Herzen geschieht.
Ein „Psalm“ von Hans Dieter Hüsch macht deutlich, was das bedeuten könnte:
Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.
Gott nahm in seine Hände meine Zeit,
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.
Was macht, dass ich so fröhlich bin
in meinem kleinen Reich.
Ich sing und tanze her und hin
vom Kindbett bis zur Leich.
Was macht, dass ich so furchtlos bin
an vielen dunklen Tagen.
Es kommt ein Geist in meinen Sinn,
will mich durchs Leben tragen.
Was macht, dass ich so unbeschwert
und mich kein Trübsal hält,
weil mich mein Gott das Lachen lehrt
wohl über alle Welt.
Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.
Gott nahm in seine Hände meine Zeit,
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.
Das ist für mich das Faszinierende am Heiligen Geist, dass er aus alten Geschichten topaktuelle Erfahrung machen kann, aus theoretischen Möglichkeiten eine Vision für meinen eigenen weiteren Weg. Aus einem „man müsste“ ein „das ist es!“ Aus mühsamem Dahinschleppen durch die Mühsal des Lebens heitere Leichtigkeit.
Aber weil er ein freier Geist ist, der weht, wo er bzw. sie will (denn im Hebräischen heißt der Geist „Ruach“ und ist weiblich!!) und nicht, wo wir wollen, tun wir uns mit ihm/ihr auch etwas schwer, auch und gerade in der Kirche. Wir bauen lieber auf Kirchengesetzen und Verordnungen, auf Traditionen und Lehrmeinungen auf, als uns auf so etwas Unzuverlässiges zu verlassen, wie den Heiligen Geist. Aber wahrscheinlich fehlt uns als Kirche genau deshalb auch etwas von der Faszination, die der Heilige Geist schenken kann. Wir müssten nur um diesen Geist bitten und das Risiko eingehen, uns darauf zu verlassen, im Vertrauen darauf, dass wir nicht verlassen sein werden.
Zum Schluss noch ein Lied aus unserem Gesangbuch (EG 556), das wir an Pfingsten gesungen haben. Möge es Sie und Euch auch nach Pfingsten begleiten und deutlich machen, worum es beim Glauben eigentlich geht; nicht um einen speziellen religiösen Bereich des Lebens, sondern darum, das ganze Leben in einer Grundeinstellung zu sehen und zu leben, die von Vertrauen, Liebe zum Leben und der Erwartung von Zukunft, die offensteht, geprägt wird, mit anderen Worten: vom Heiligen Geist!
1. Sagt, wer kann den Wind sehn? Niemand kann ihn sehn, aber wenn wir lauschen, hören wir sein Weh´n.
2. Er tut große Dinge, treibt die Wolken her, macht die Felder fruchtbar und bewegt das Meer.
3. Wer kann Gottes Geist sehn? Niemand kann ihn sehn; doch wer auf ihn wartet, lernt ihn wohl verstehn.
4. Er tut große Dinge, lehrt uns Gott vertraun, dass wir glauben können, ohne ihn zu schaun.
5. Jesus sagt uns allen: »Bittet Gott den Herrn, dass er euch den Geist gibt, und er gibt ihn gern.«
Ich habe jetzt erst einmal Urlaub und setze mit den Wochenandachten eine Woche aus.
Ihnen und Euch eine gesegnete und „begeisterte“ Zeit!
Ihr/Euer Pastor Schnoor