Liebe Leserinnen und Leser

Wieder sind wir in der Woche zwischen den letzten Ausläufern von Weihnachten und dem ersten Beginn dessen, was wir Passionszeit nennen. Am vergangenen Sonntag war der letzte Sonntag nach Epiphanias. Die Evangelienlesung für diesen Tag ist die Geschichte der sog. Verklärung Jesu auf dem Berg aus Matthäus 17:

[1] Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. [2] Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. [3] Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. [4] Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. [5] Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! [6] Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. [7] Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! [8] Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. [9] Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.

Der nächste Sonntag wird dann Septuagesimae (70 [Tage vor Ostern]) sein, und in dem Evangelientext für diesen Tag aus Matthäus 9 sind wir weit weg von dem spirituellen Erlebnis auf dem Berg jenseits des Alltags (oder doch nicht?)

Jesus ging von Kapernaum weiter. Da sah er einen Mann an seiner Zollstation sitzen. Er hieß Matthäus. Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!« Da stand er auf und folgte ihm.

[10] Später war Jesus im Haus zum Essen. Viele Zolleinnehmer und andere Leute, die als Sünder galten, kamen dazu. Sie aßen mit Jesus und seinen Jüngern. [11] Als die Pharisäer das sahen, sagten sie zu seinen Jüngern: »Warum isst euer Lehrer mit Zolleinnehmern und Sündern?« [12] Jesus hörte das und antwortete: »Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. [13] Überlegt doch einmal, was es bedeutet, wenn Gott sagt: ›Barmherzigkeit will ich und keine Opfer!‹ Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder.«

Die beiden Texte haben einen gemeinsamen Aspekt, die Sehnsucht! Ist es in der Geschichte von der Verklärung die Sehnsucht, den idealen Moment, an dem alles endlich passt, festzuhalten und es doch nicht zu können, so steckt in der Berufung des Matthäus wohl die Sehnsucht nach Neubeginn, eine Ahnung, dass etwas Wichtiges fehlt, die Menschen in Bewegung setzt. Und noch etwas ist in beiden Geschichten ähnlich: Jesus ist in beiden Texten derjenige, in dem Gott nahe kommt und Sehnsucht stillt, oben auf dem Berg in hellem Licht und unten in den Niederungen des Alltags, wenn er Menschen ruft und annimmt, die diese Erfahrung sonst eher nicht in ihrem Leben machen (Zöllner und Sünder!)

Ich habe in den letzten Wochen auch ein gewisses Kontrastprogramm gehabt, vielleicht deshalb sind mir dieses Jahr diese Verbindungen aufgefallen. Ich hatte eine Woche Urlaub mit Frau und Töchtern in Prag, und das war für mich so eine Zeit, in der sehr vieles stimmte und die ich auch gerne festgehalten hätte. Aber auch ein Urlaub ist vorbei, und dann ging es wieder in den Beruf, und es folgte wieder recht viel Arbeit. Darum fiel die Wochenandacht auch zwei Wochen aus und in dieser Woche kommt sie verspätet. Der Alltag hatte mich wieder, und ich habe nicht alles rechtzeitig geschafft!

Aber ich habe in meinem Urlaub und der wunderschönen Stadt Prag für mich wieder Impulse aufnehmen können, die mich begleiten, auch über das Ende des Urlaubs. Ich denke, dafür sind solche besonderen Momente da. Man kann sie zwar nicht festhalten, aber man kann erinnern, was sie mir bedeuten, was sie mir für eine neue Sicht auf das Leben schenken. Und diese Erinnerungen können sich im Alltag auswirken, wie helles Licht an einem dunklen Tag, wie eine Hoffnungsperspektive, wenn mir gerade wieder einmal der Sinn meines Tuns durch die Hände rinnt.

Und ich erinnere mich an den alten jüdischen Friedhof in Prag mit Gräbern seit dem 16. Jahrhundert, die kreuz und quer stehen und einen etwas chaotischen Eindruck machen und doch die Geschichte von jüdischen Menschen dieser Stadt über Jahrhunderte erzählen und tiefen Eindruck auf mich machen, ohne dass ich weiß, warum eigentlich!

Das bleibt wohl stetige Aufgabe, meinen Alltag und die besonderen Momente meines Lebens sinnvoll zusammenzubekommen, meinen Glauben und das Alltägliche. Wie es gehen kann, habe ich zu ahnen gelernt an einem der wie ich finde schönsten Bücher über Gott, die ich kenne: Fynn, Hallo, Mister Gott, hier spricht Anna, (c) alle deutschsprachigen Rechte by Scherz Verlag, Bern, München, Wien. Daraus ein kleiner Auszug:

Eines Tages war Anna mit Fynn im Gottesdienst, den Pfarrer Castle hielt. In der Predigt sprach der Pfarrer viel von Gott. Anna war aufgefallen, dass Pfarrer Castle ständig von “wissen” und “sehen” redete. So sprach er davon, dass die Menschen Gott von Angesicht zu Angesicht sehen würden. Anna hörte dem Pfarrer gut zu, aber Fynn merkte, dass das kleine Mädchen wohl nicht einverstanden war mit dem, was der Pfarrer sagte.

Plötzlich ergriff Anna die Hand von Fynn und flüsterte ihm zu, aber so, dass es auch die Nachbarn in den Bänken hören konnten: “Und was macht der Pfarrer, wenn sich rausstellt, Mister Gott hat überhaupt kein Gesicht? Nicht mal Augen? Dann kann der Mensch ihn gar nicht, von Angesicht zu Angesicht’ sehen.” Und Anna rückte noch näher an Fynn heran, denn sie hatte ihm nun etwas Wichtiges zu sagen. Sie sagte ihm nämlich, was sie selbst über Gott wusste.

“Ich sage dir, Fynn: Mister Gott hat überhaupt kein Gesicht. Er sieht uns alle auf der Erde, jeden einzelnen, und er muss sich dafür nicht mal umdrehen oder schielen oder so was. Sieh mal, Fynn, ich hab ein ,vorne’ und ein ,hinten’. Und wenn ich hinten was sehen will, muss ich mich umdrehen, weil ich hinten keine Augen habe. Aber Mister Gott hat nur ein ,vorn’ und kein ,hinten’. Er schaut überall hin gleichzeitig.”

Und nach dem Gottesdienst lief Anna ganz lustig und laut singend durch die Straßen: “Der liebe Gott hat kein ,hinten’! Der liebe Gott hat kein ,hinten’.” Die Leute, die das hörten, drehten sich empört über das kleine freche Mädchen um, weil es in ihren Augen so gotteslästerlich daherredete. – Anna aber hüpfte vor Freude weiter und lachte. Sie war nicht böse, sie war nur sicher: Gott war ihr Freund. Und sie wusste ganz genau: ihr Freund verstand sie.

Ich wünsche mir und Ihnen/Euch, dass dieses Wissen von Anna immer wieder neu Teil und Erfahrung unseres Alltags sein möge.

Ihr/Euer Pastor Schnoor