Liebe Leserinnen und Leser

Ich weiß ja nicht, ob es Ihnen und Euch auch so geht, aber es gibt einige biblische Geschichten, die mir in meinem Leben immer wieder begegnen in unterschiedlichen Zusammenhängen und mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Und jedes Mal bekomme ich einen anderen Zugang. Extrem ist mir das mit einer Geschichte aus 1. Mose 22 passiert, für sie ich Jahrzehnte gebraucht habe, bis ich überhaupt einen inneren Zugang bekommen habe. In dieser Geschichte bekommt Abraham, nachdem er so lange auf die Geburt von Isaak gewartet hat den Auftrag, eben diesen Sohn zu opfern. Also eine gruselige Vorstellung! Er geht mit seinem Sohn zum Berg Moria und ist tatsächlich willens, den Jungen rituell zu töten. In dem Moment kommt ein Engel, hindert ihn daran, zeigt ihm einen Schafbock, der an Isaaks Stelle geopfert wird. Gott erkennt die Glaubenstreue Abrahams an und erneuert die Verheißung an ihn. Ende der Geschichte, die ich hier nur kurz zusammengefasst habe.

Vor meinem Studium wurde mir diese Geschichte als Beispiel für Glaubensstärke nahegebracht, na ja, so wirklich nahe nicht. Im Studium begegnete ich dem Text dann noch zweimal. Einmal im Bereich der Auslegung, wo mir mitgeteilt wurde, dies sei eine „Ätiologie“, d.h. eine Geschichte, in der die Entstehung oder das Ende von religiösen Orten oder Handlungen erzählerisch begründet wird. In diesem Fall erklärt die Geschichte, warum es im alten Israel anders als bei so manchen Nachbarvölkern keine Menschenopfer gab, sondern stattdessen nur Tier- oder Pflanzenopfer! War hilfreich, aber ich fand die Geschichte immer noch gruselig! Dann begegnete mir die „Opferung Isaaks“ noch während eines Wochenendseminars, in dem wir diese Geschichte als ein „Bibliodrama“ „durchspielten“, d.h. jede/r übernimmt eine Rolle in dieser Geschichte, in die er oder sie sich möglichst intensiv hineinversetzt. Ergebnis: Es war sehr intensiv, und wir hatten hinterher einige Mühe, „Isaak“ und den „Schafbock“ wieder zu beruhigen, die von ihren Rollen sehr aufgewühlt waren (der Schafbock übrigens noch mehr als Isaak)!! Ergebnis dieser Erfahrung: Obwohl ich die Methode interessant fand, habe ich mich seither lieber auf Abstand dazu gehalten!

Nach dem Studium bin ich mit einer anderen erzählerischen Auslegungsmethode, dem „Bibliolog“ wieder mit dieser Geschichte in Berührung gekommen, konkret, als uns einige der Grundprinzipien jüdischer Bibelauslegung erklärt wurde, konkret die Grundunterscheidung zwischen dem schwarzen gedruckten Text der Bibel und dem, was an weißem Raum zwischen den Buchstaben ist. Neben dem, was gesagt ist, steht also so manches, was nicht gesagt wird. In Kombination mit sehr genauer Beobachtung wurde das an einem Beispiel aus dieser Geschichte von „Isaaks Opferung“ erläutert. Während Gott am Anfang der Geschichte noch direkt mit Abraham sprach, war es gegen Ende ein Engel, der Abraham von der Opferung abhielt, ihn auf den Widder hinwies und den Segen für Abraham erneuerte.

Warum dieser Wechsel? Eine jüdische Auslegung dafür lautet (es gibt immer mehrere, die einander auch gerne widersprechen dürfen, weil das göttliche Wort zu tief für nur eine Bedeutung ist!): Gott war wütend auf Abraham (oder mindestens enttäuscht!), dass dieser dem göttlichen Auftrag nicht heftig widersprochen hat, denn Gott will keine Menschenopfer. Abraham kannte seinen Gott also schlecht! Deshalb sprach er am Ende nicht selbst mit Abraham, sondern schickte nur einen Ersatz! Ich fand und finde diesen Ansatz seither ungeheuer spannend und versuche, auf solche „Kleinigkeiten“ mehr zu achten. Tja und in dieser Woche begegnete beim Pastorenkonvent in Schleswig dann noch einmal diese Geschichte in Verbindung mit einer Nacherzählung des Regisseurs Woody Allen. Er ist zwar seit einigen Jahren in öffentliche „Ungnade“ wegen moralischer Vorwürfe gegen ihn gefallen, aber es gibt in der Evangelischen Theologie einen Grundsatz, zwischen Person und Tun klar zu unterscheiden. Gott verabscheut das Tun des Bösen, aber er verabscheut nicht den Täter. Sonst wäre Umkehr von eigenen falschen Wegen ja überhaupt nicht möglich. Außerdem finde ich, eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte, egal, von wem sie stammt! Und hier ist also diese Fassung der „Opferung Isaaks“:

Kein Sinn für Humor

 Und Abraham erwachte in der Mitte der Nacht und sprach zu seinem einzigen Sohn: „Isaak, ich habe einen Traum gehabt, in dem die Stimme des Herrn sagt, dass ich meinen einzigen Sohn opfern solle. Also zieh dir deine Hosen an!“ Und Isaak zitterte und sprach: „Und was sagtest du da, als Er die ganze die Sache zur Sprache brachte?“ „Nun, was soll ich fragen?“ sagte Abraham „ich stehe da um zwei Uhr nachts in meinen Unterhosen vor dem Schöpfer des Universums. Sollte ich streiten?“ „Also hat Er gesagt, warum er mich geopfert haben will?“, fragte Isaak seinen Vater. Aber Abraham sagte: „Die Gläubigen fragen nicht. Lass uns jetzt gehen, denn morgen habe ich einen schweren Tag.“

 Und Sarah, die von Abrahams Absicht hörte, wurde ärgerlich und sprach: „Weißt du denn, dass es der Herr war und nicht – sagen wir – dein Freund, der derbe Scherze liebt? Denn der Herr hasst derbe Scherze, und wer immer auch jemanden durch den Kakao zieht, soll in die Hände Seiner Feinde geliefert werden, ob sie die Zustellung bezahlen können oder nicht.“ Und Abraham antwortet: „Weil ich weiß, es war der Herr. Es war eine tiefe klangvolle, melodische Stimme. Und niemand in der ganzen Wüste kann sie so zum Dröhnen bringen.“ Und Sarah sprach: „Und Du bist willens, diese sinnlose Tat auszuführen?“ Aber Abraham sagte zu ihr: „Offen gesagt, ja. Denn das Wort des Herrn in Frage zu stellen, ist das Schlimmste, was jemand tun kann, besonders bei der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage.“

 Und also brachte er Isaak an einen gewissen Ort und bereitete sich vor, ihn zu opfern. Aber im letzten Augenblick hielt der Herr Abrahams Hand auf und sprach: „Wie konntest du solches tun?“

 Und Abraham sprach: „Aber du hast doch gesagt …“

 »Kümmre dich nicht, was ich gesagt habe. Hörst du auf jede verrückte Idee, die dir über den Weg läuft?“ Und Abraham schämte sich: „Äh, nicht richtig … nein.“ „Ich mache aus Spaß den Vorschlag, dass du Isaak opferst, und Du rennst sofort los und tust es.“ Und Abraham fiel auf seine Knie: „Sieh doch, ich weiß nie, wann du Spaß machst.“ Und der Herr donnerte: „Kein Sinn für Humor, ich kann’s nicht glauben.“ „Aber beweist das nicht, dass ich dich liebe, wenn ich willens war, meinen einzigen Sohn deiner Laune zum Geschenk zu machen?“ Und der Herr sprach: „Oh, das beweist, dass einige Menschen jedem Befehl folgen, ganz egal, wie kreuzdämlich er ist, solange er von einer wohlklingenden Stimme kommt.“

 Und dann bat Er Abraham, sich etwas auszuruhen und ihn morgen wieder anzurufen.

 (Aus: Woody Allen, Die heilsame Reise, Kaiser‑TB)

Die Erfahrung, die ich mit Ihnen und Euch teilen wollte, biblische Texte bieten bei jedem Lesen neue Seite. Das ist Teil ihrer Qualität! Und es macht überhaupt nichts, wenn man mit bestimmten Texten nicht gleich oder vielleicht auch gar nicht im Einklang ist. Denn in der Auseinandersetzung mit dem fremden Denken, kann ich das eigene Denken schärfen und neue Richtungen erfahren! Probiert es doch selbst mal aus!

Ihr/Euer Pastor Schnoor