Liebe Leserinnen und Leser

Geht es Ihnen und Euch auch so wie mir? Ich prokrastiniere zwar nicht immer aber doch oft! Einige werden jetzt denken: Was tust du bitte? Prokrastinieren? Was soll denn das sein? Nun alles braucht seinen Fachausdruck, und Prokrastination ist schlicht die Tendenz, die Dinge aufzuschieben, zu denen ich gerade keine Lust habe, solange es irgendwie geht!

Gerade bei Texten, die ich schreiben soll, passiert mir das. Ich habe einfach gemerkt, es fällt mir leichter, zu schreiben, wenn ich unter Zeitdruck bin. Sonst sitze ist manchmal stundenlang am Computer und keine Muse weit und breit, die mich ein wenig inspirieren würde. Aber irgendwann kommt dann der Moment, der es in diesem Jahr in die Losung für den Evangelischen Kirchentag gebracht hat! Markus 1, 15a: „Jetzt ist die Zeit!“ Bei mir ist es dann meist der Impuls: Jetzt musst du loslegen, sonst schaffst Du es nicht zum Termin! Beim Kirchentag wird es sicher eher um die großen Themen der Zeit gehen, Krieg, Klimawandel, Gerechtigkeit usw. Und ein solcher Text kann leicht zur moralischen Keule werden: Jetzt muss sich unser Lebenswandel drastisch ändern, und wir müssen … und so weiter!

Ich bin durchaus der Ansicht, dass sich unser/mein Lebensstil in so Manchem ändern sollte im Blick auf zukünftige Generationen und im Blick auf gegenwärtige Mitmenschen, aber die Kirchentagslosung scheint mir doch noch einen anderen Schwerpunkt zu haben als der Text im Markusevangelium. In der Lutherbibel heißt es: „Die Zeit ist erfüllt!“ und die Basisbibel übersetzt: „Die von Gott bestimmte Zeit ist da“ Und dann geht es weiter, aber eben nicht mit der Ankündigung einer drohenden Katastrophe, wenn man nicht sofort das Leben radikal ändert, sondern mit der Botschaft, dass Gottes Reich nahe herbeigekommen ist. Und wenn dann zur Umkehr aufgefordert wird, dann so: (Basisbibel) „Ändert euer Leben und glaubt dieser Guten Nachricht“.

Und dann geht es los. Jesus fängt an, öffentlich aufzutreten und genau das zu predigen, und die ersten Schüler beginnen, ihm zu folgen, weil sie das anzieht und bewegt, was er sagt und vorlebt.

„Jetzt ist die Zeit“ ist also weniger der moralische Aufruf mit einem kräftigen „du musst!“, sondern eher eine Zeit, ein besonderer Moment, der (von Gott) geschenkt wird, aber dann auch ein Moment der Entscheidung ist. „Kairos“ heißt das auf Griechisch im Neuen Testament.  Das kann sehr verschieden sein, hat aber meist etwas mit tiefer Sehnsucht nach einem anderen, besseren Leben zu tun. Und wenn man diesen Kairos verpasst, dann verpasst man damit eben auch eine zentrale Weichenstellung des eigenen Lebens. Das Wichtige im Leben lässt sich nicht einfach beliebig nachholen und für manches gibt es ein „zu spät“. Und es ist bitter, wenn man erfahren muss: Dieser Zug ist ohne dich abgefahren und über diese Brücke wirst du lange nicht mehr gehen oder fahren können (Menschen, die eigentlich über die Brücke in Lindaunis gehen oder fahren wollen, wissen unmittelbar, was das bedeuten, und was für Konsequenzen es haben kann, wenn man nicht rechtzeitig mit einem Ersatzbau begonnen hat!). Einen „Kairos“ zu erkennen und die Konsequenz zu ziehen, darum geht es.

Aber Jesus ist nicht als finsterer Moralist aufgetreten, dem es darum ging, Menschen Angst zu machen, damit sie sich ändern, sondern er hat Menschen die Möglichkeit gegeben, sich als von Gott geliebte Kinder dieses „himmlischen Papa“ zu verstehen. Er hat Ausgestoßene angenommen, Beeinträchtigte geheilt und immer wieder an Einzelfällen illustriert, was Gott eigentlich für seine Menschen möchte. Und das hat diese Menschen und manche, die es erlebten, dann so verändert, dass sie neue Wege für ihr Leben eingeschlagen haben.

Von daher gefällt mir eine Karikatur des Zeichners Uwe Krumbiegel, die ich in: Werkstatt für Liturgie und Predigt, Juni 2013, S. 155 gefunden habe, außerordentlich, wie auch die Bildbetrachtung von Mark Meinhard auf der folgenden Seite (156), von der ich mich habe inspirieren lassen.

Betrachtet diese Andacht als einen Versuch meinerseits, mein „Prokrastinieren“ in den Griff zu bekommen, damit ich dann, wenn der „Kairos“ mir begegnet, nicht sagen muss: Tut mir leid! Keine Zeit! Es könnte dann zu wichtig sein, was ich verpasse!

Ihnen und Euch eine gute und produktive Zeit!

Ihr/Euer Pastor Schnoor