Liebe Leserinnen und Leser

„Entschuldigung!“ Wie oft haben Sie, habe ich dieses Wort schon gesagt oder gehört? Unzählige Male! Seit wir klein waren und ein anderes Kind oder wir von Erwachsenen dazu aufgefordert wurden sich oder uns für ein Fehlverhalten zu entschuldigen. „Entschuldigung!“  Und unter Kindern, jedenfalls in meiner Kindheit, die nun allerdings schon etwas zurück liegt, war es ein Ritual: Wenn sich jemand entschuldigt, hatte der/die andere irgendwas in der Art zu sagen wie: „Ist gut! Ist okay!“ Sinn war also, dass eine gestörte Beziehung wiederhergestellt war, indem sich der/die Eine durch die Entschuldigung vor einem „Du“ einen Moment klein macht („ich habe etwas falsch gemacht“!), nachdem man durch das eigene Verhalten dieses „Du“ klein gemacht, verletzt hatte. Wenn man so will – eine Art Austausch!

Was meinen Sie, meint Ihr: Wie oft war das „Entschuldigung!“ seit Kindertagen eine Phrase, nicht wirklich ernst gemeint, sondern nur gesagt, weil es sozial erwartet wurde? Und wie oft stellte sich durch das Ritual des „sich Entschuldigens“ keine wiederhergestellte Beziehung ein? Ich weiß das auch nicht, vermute aber, nicht eben selten, weil zwei Probleme zusammenkommen in diesem Ritual:

  1. Seit Klein auf sind wir – meist von Größeren, Mächtigeren – dazu aufgefordert worden, ein eigenes Verhalten einem Du gegenüber als nicht angemessen und falsch zu bekennen, also, uns klein zu machen, uns ein Stück zu erniedrigen. Echt ist das aber nur, wenn wir selber merken, dass wir einen anderen Menschen verletzt haben und es uns wirklich leidtut, weil wir das gar nicht wollten. Ansonsten ist es nur eine Floskel, die wir aussprechen, um soziale Ächtung etc. zu vermeiden, die wir aber nicht wirklich ernst meinen, weil wir unser Verhalten gar nicht so schlimm finden oder das „Du“ nicht mögen, ablehnen und evtl. absichtlich verletzt haben.
  2. Schon unsere Sprache zeigt, dass wir beim „sich Entschuldigen“ einen Denkfehler begehen, denn nicht wir können „uns entschuldigen“, sondern nur das „Du“, das wir verletzt haben, kann „uns entschuldigen“! Und das ist meist sehr viel schwieriger als es das kindliche Ritual nahelegt: Du entschuldigst dich und ich sage, dass es wieder gut ist! Ist es meistens nämlich nicht! Jedes Fehlverhalten, das ich erdulden muss oder was ich jemandem zufüge, prägt das eigene weitere Leben der beteiligten Personen! Ich werde mich bemühen, anderen Menschen gegenüber keine Schwächen zu zeigen oder mich nicht erwischen zu lassen. Wieviel Großspurigkeit im Auftreten verdankt sich innerer Angst verletzlich zu sein?

Entschuldigung ist eine Situation, die wir gerne umgehen. Das ist auch schon zu Jesu Zeiten so gewesen, als er zu seinen Jüngern sagte, sie wollten anderen Menschen vergeben. Bezeichnenderweise wird dazu folgende kleine Begebenheit überliefert: Da trat Petrus hinzu und sprach zu ihm: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist’s genug siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal.(Matthäus 18,21-22)

Und NEIN!, Jesus fordert hier nicht dazu auf, eine Strichliste zu führen und beim 491. Mal jegliche Vergebung einzustellen! Sondern er meint: Vergib immer wieder aufs Neue, gib dem Menschen, der falsch Dir gegenüber gehandelt hat, immer wieder eine Chance, es beim nächsten Mal besser zu machen!

Was für ein Anspruch! Doch eigentlich unmöglich, oder? Vielleicht! Aber ein Ideal ist auch nicht dazu da, es 1 zu 1 zu erfüllen, sondern sich immer mehr und immer wieder anzunähern.

Aber warum sollte ich das eigentlich tun? Um ein besserer Mensch zu sein? Wäre mir zu abstrakt! Für mich hat es, seit ich mich mit dem Vergeben versuche, vor allem zwei Motive gegeben, die sich mir als sinnvoll gezeigt haben (es mag mehr geben!): Es ist einmal nicht gut für mich, wenn ich in einer Konfrontation stehe bleibe. Denn wenn ich mein „Du“ auf dieses Fehlverhalten festnagele und ihm/ihr keine Änderung zutraue, dann lege ich mich mit meinem Verhalten eben genauso fest, d.h. ich beschränke mich. Und weil es negative Erfahrungen sind, die mich prägen, kommen dabei kaum positive Verhaltensweisen heraus, ich lasse mich vom Negativen bestimmen! Wenn ich mich davon nicht löse, bleibe ich Gefangener! Das zweite folgt daraus: Je mehr ich diesen negativen Erfahrungen Raum in mir gebe, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass sich sowieso nichts zum Besseren entwickeln wird. Wozu soll ich daran arbeiten, dass diese Welt eine bessere wird, die Menschen sind sowieso schlecht! Ich mache mein Leben klein (von dem der Anderen rede ich erst mal gar nicht!). Wie es anders sein kann, davon spricht (ein halbes Jahr entfernt) folgende Weihnachtsgeschichte:

Zwiegespräch an der Krippe (aus: Willi Hoffsümmer, Kurzgeschichten 4, Nr. 12)

Ein kleiner Junge ist stolz darauf, einen Großvater zu haben, der Figuren schnitzen kann. Es ist schon faszinierend zuzusehen, wie langsam aus einem Stück Holz “lebendige” Gestalten entstehen. Der Junge vertieft sich so in die geschnitzten Krippenfiguren, dass sich seine Gedanken mit der Welt der Figuren vermischen: Er geht mit den Hirten und Königen in den Stall und steht plötzlich vor dem Kind in der Krippe. Da bemerkt er: Seine Hände sind leer! Alle haben etwas mitgebracht, nur er nicht. Aufgeregt sagt er schnell: “Ich verspreche dir das Schönste, was ich habe! Ich schenke dir mein neues Fahrrad – nein, meine elektrische Eisenbahn.” Das Kind in der Krippe schüttelt lächelnd den Kopf und sagt: “Ich möchte aber gar nicht deine elektrische Eisenbahn. Schenke mir deinen – letzten Aufsatz!” “Meinen letzten Aufsatz?” stammelt der Junge ganz erschrocken, “aber da steht doch …, da steht ,ungenügend’ drunter!” “Genau deshalb will ich ihn haben”, antwortet das Jesuskind. “Du sollst mir immer das geben, was, nicht genügend’ ist. Dafür bin ich in die Welt gekommen!”

“Und dann möchte ich noch etwas von dir”, fährt das Kind in der Krippe fort, “ich möchte deinen Milchbecher!” Jetzt wird der kleine Junge traurig: “Meinen Milchbecher? – Aber der ist mir doch zerbrochen!” “Eben deshalb will ich ihn haben”, sagt das Jesuskind liebevoll, “du kannst mir alles bringen, was in deinem Leben zerbricht. Ich will es heil machen!”

“Und noch ein Drittes möchte ich von dir”, hört der kleine Junge wieder die Stimme des Kindes in der Krippe, “ich möchte von dir noch die Antwort haben, die du deiner Mutter gegeben hast, als sie dich fragte, wieso denn der Milchbecher zerbrechen konnte.” Da weint der Junge. Schluchzend gesteht er: “Aber da habe ich doch gelogen. Ich habe der Mutter gesagt: “Der Milchbecher ist mir ohne Absicht hingefallen.“ Aber in Wirklichkeit habe ich ihn ja vor Wut auf die Erde geworfen.” “Deshalb möchte ich die Antwort haben”, sagt das Jesuskind bestimmt, “bring mir immer alles, was in deinem Leben böse ist, verlogen, trotzig und gemein. Dafür bin ich in die Welt gekommen, um dir zu verzeihen, um dich an die Hand zu nehmen und dir den Weg zu zeigen. Und das Jesuskind lächelt den Jungen wieder an. Und der schaut und hört und staunt.

Glaubt mir, es gibt so einige Situationen, in denen es mir sehr schwerfällt, Menschen zu glauben, weil ich mit solchen Situationen fast nur Enttäuschungen verbinde. Aber um der wenigen Gegenbeispiele willen, die ich auch erlebt habe, versuche ich, jeweils eine neue Chance zu geben – und manchmal gelingt es mir! Und manchmal ist das richtig gut!

Ihnen und Euch eine gesegnete Zeit und immer wieder neue Chancen!

Ihr/Euer Pastor Schnoor