Liebe Leserinnen und Leser

Eigentlich hatte ich vorher nie wirklich verstanden, was für eine Dramatik unser gutes altes Kirchenjahr gerade in dieser Zeit so in sich trägt. Da leuchten die letzten Ausläufer von Weihnachten am Letzten Sonntag nach Epiphanias mit biblischen Texten, in denen die Begegnung mit Gott Menschen zum Strahlen bringt. Da ist Mose, der mit den 10 Geboten vom Berg kommt und so leuchtet, dass er ein Tuch als Schutz für die anderen über den Kopf legen muss, weil die Israeliten dieses Leuchten nicht ertragen. Es ist, als ob man ungeschützt in die Sonne schaut. Lest die Geschichte in 2. Mose 34 ruhig mal nach, und wenn Ihr Zeit habt, die Kapitel davor mit! Ist spannend, dieser Mose und es sind Texte, die es mir verbieten, aus dem Geheimnis der Welt und der Grundlage des Lebens den „lieben Gott“ zu machen, der meine Wünsche erfüllen, Unangenehmes von mir fernhaften und mich ansonsten in Ruhe lassen soll.

Und die Evangeliumlesung in Matthäus 17,1-9 erzählt von der sogenannten „Verklärung Jesu“ auf dem Berg, wo seine engsten Freunde plötzlich erfahren, wie der Vorhang der Realität weggezogen wird. Jesus als strahlende Lichtquelle, Gottesgegenwart hinter einer schützenden Wolke, die Größen des Alten Bundes Mose und Elija und ein Simon Petrus, der das alles so faszinierend findet, dass er Jesus und Mose und Elija Hütten bauen will, um zu verweilen, weil es zwar beängstigend ist, aber doch auch so faszinierend! Ich finde Petrus immer wieder fantastisch in seiner liebenswerten Begeisterungsfähigkeit meist knapp vorbei an dem, was gerade angemessen wäre! Am nächsten Sonntag wird die Geschichte kommen, in der er im Sturm zu Jesus über das Wasser laufen will und dabei baden geht! Aber so weit sind wir noch nicht!

Verklärung Jesu, der kurze Blick hinter die Bühne der Geschichte darauf, wer Jesus wirklich ist, jedenfalls eine Andeutung in Licht! Und dann geht es zurück in den Alltag, den Berg hinunter und dann bald auf den Weg nach Jerusalem. Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist. (Matthäus 17,9) und dann folgt die erste Leidensankündigung und der Weg in die Passionszeit.

Und so ist das im Kirchenjahr auch. Letzte Erinnerungen an das Kind in der Krippe, das zum Mann geworden ist – und dann wird dieser Mann in das Leiden und den Tod gehen, und dann wird etwas geschehen, von dem wir seit 2000 Jahren sprechen, aber es doch nicht wirklich verstehen: Jesus bleibt nicht tot, gescheitert und der Bedeutungslosigkeit überlassen, sondern es entsteht eine neue Bewegung, die zur Weltreligion wird. „Jesus lebt!“

In unserem Glaubensbekenntnis ist diese Dramatik an dieser Stelle des Kirchenjahres zwischen dem „Weihnachtsfestkreis“ und der Passionsgeschichte ja vorgebildet. Von der Geburt Jesu geht es gleich in sein Sterben und die Auferstehung. Wie der Rahmen eines Bildes. Was im Glaubensbekenntnis fehlt ist das eigentliche Bild zwischen Geburt und Tod. Vielleicht das Geheimnis, das immer zum Göttlichen gehört oder einfach ein offener Platz für die ganz unterschiedlichen Bilder, die wir uns von einem Menschen machen können?! Vielleicht beides!

Auf jeden Fall haben wir nun noch 4 Sonntage „dazwischen“. Und ich schrieb am Anfang, ich hätte die Dramatik in diesem Teil des Kirchenjahres vorher nie so erlebt. Das hängt mit meinen Erfahrungen der letzten Tage zusammen. Schwere Beerdigungen, in denen anscheinend eine Menge durchschien, und tiefe Gespräche. Und ich hatte mal wieder den Eindruck, ich bin bei meiner Berufswahl falsch abgebogen und kurz danach: Jetzt weiß ich wieder, warum ich Pastor geworden bin!“ Ach ja, und dann gibt es ja auch noch Corona! Wenn Sie und Ihr in dieser Andacht auch beim zweiten Lesen manches nicht versteht, dann kann ich Euch trösten: Mir geht das derzeit genauso, ich fahre manchmal geistig-emotionale Achterbahn!

Und ich bin dankbar, wieder einmal über einen Text gestolpert zu sein, der mich wieder ein Stück geerdet hat. Vielleicht tut er Euch ja auch gut?!

Das Gute im Bösen

(Christina Brudereck, Trotzkraft, Text 84, 2Flügel Verlag Essen 2021)

Meine Tradition hat mich gelehrt:
dass wir gehalten sind, nicht nur von Katastrophen zu erzählen.
Wir haben auch die Aufgabe und den Trost,
zu entdecken, dass mitten in den Katastrophen
Leben gelungen ist.
Es gibt Zärtlichkeit und Liebe.
Kinder werden geboren.

Auch mitten in Plagezeiten geschehen Wunder.

Damaskus zum Beispiel
ist nicht nur Hauptstadt im Land
eines schrecklichen Bürgerkrieges.
Sie ist eine der ältesten, ständig bewohnten Städte der Welt.
Uralte Hochkultur.
Berühmt für Dichtung. Musik. Theater, Gewürze. Granatäpfel.
Hier lebten und glaubten
Jesidinnen, Aramäer, Jüdinnen und Juden,
orthodoxe Christen, Musliminnen,
Die Hebräische Bibel und das Neue Testament
kennen diese Stadt.

Berlin kommt nicht in der Bibel vor.
Essen aber ziemlich oft.
König David kannte Damaskus.
Der Apostel Paulus gewann hier sein Augenlicht zurück.
Die Stadt wurde zum Symbol der Verwandlung.
Die ganze Altstadt ist Weltkulturerbe.
Ich verneige mich voller Hochachtung.

Es gibt kein Leben ohne Lücken und Krisen,
kein Leben ohne Schuld und Nebenwirkungen.
Aber wir haben nicht das Recht,
nur von den Katastrophen zu reden.
Immer wurde auch geliebt und geholfen,
geküsst und gekocht, gebaut und vertraut.

So ist es! Und es ist gut, daran erinnert zu werden,

sich erinnern zu lassen, dass das nicht nur in Damaskus geschieht!

Ihr/Euer Pastor Schnoor