Liebe Leserinnen und Leser
„Ich will dich segnen (und dir einen großen Namen machen,) und du sollst ein Segen sein.“ Das ist – meist in der Kurzfassung ohne den Text in Klammern – ein sehr beliebter Tauf- und Konfirmationsspruch und Teil des Predigttextes vom vergangenen Sonntag. Eine Zusage, die Gott dem Abraham macht, der damals noch Abram hieß und in Haran im heutigen Irak lebte.
Er war wohlhabend, hatte alles, was Mensch damals so brauchte – bis auf eins! Abram hatte keine Kinder, und er und seine Frau waren eigentlich aus dem Alter heraus, in dem sich an diesem Zustand biologisch noch etwas ändern würde. Sie hatten nach dem damaligen Verständnis also zwar eine gute Gegenwart, aber sie hatten keine Zukunft!
Hier wird von Gottes Seite also eine Zukunft eröffnet und das Versprechen gegeben: Dein innigster Lebenswunsch wird sich erfüllen, Abram!
Allerdings gibt es eine Voraussetzung dafür, dass sich das Versprechen Gottes erfüllen wird. Dem Versprechen folgt sogleich ein Auftrag Gottes: „Verlass dein Land, deine Verwandtschaft und dein Vaterhaus! Geh in das Land, das ich dir zeigen werde!“
Abram war Nomade, dessen Familie erst eine Generation vor ihm sesshaft geworden war. Der erste Teil lautet in seinen Ohren also: Nimm das Nomadenleben wieder auf, hör auf, in festem Haus in einer Stadt zu wohnen! So weit so gut, das war im Rahmen seines Denkens. Verlass Deine Verwandtschaft und Dein Vaterhaus hingegen war etwas anderes. Damals brauchte ein Mensch seinen Stamm oder mindestens seine Großfamilie („Vaterhaus“), um gegen die vielfältigen Gefahren geschützt zu sein. Das gab man damals nicht so ohne weiteres auf. Abram tut es, weil die Sehnsucht nach einem Nachkommen ihn treibt und er dem Versprechen Gottes vertraut.
Und er macht eine Erfahrung, die wohl nicht wenige Menschen in den folgenden Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden gemacht haben. Manchmal muss man sein altes Leben, seine Gewohnheiten, seine Sicherheiten aufgeben und etwas Neues anfangen mit dem Risiko grandios völlig zu scheitern, um den Sinn des eigenen Lebens zu erreichen!
Und wie bei Abram/Abraham, führt dieser Weg nicht einfach als Autobahn immer geradeaus zum Ziel. Stattdessen hat man es mit Umwegen, Sackgassen, Irrtümern und Krisen zu tun, bis es dann – hoffentlich – endlich so weit ist wie in den Geschichten Abrahams. Dessen einziger Landbesitz am Ende seines Lebens würde nur ein Erbbegräbnis im Gelobten Land sein, aber spätere Generationen seiner Nachkommen würden das Land in Besitz nehmen, und als Nachkommen Abrahams würden nicht nur das jüdische Volk, sondern auch die Araber*Innen gelten. Und die Christ*Innen würden sich als seine „spirituelle Nachkommenschaft“ an Abraham als „Urvater des Glaubens“ auch noch hängen. So ist Abraham über die Jahrtausende zur Grundlage der drei „abrahamitischen Religionen“ (Judentum, Christentum und Islam) geworden.
Leider hat sich der Segen zwischen Ihnen oft nicht ausgewirkt, weil sie einander rechthaberisch bekämpften. Vielleicht war ein Grund dafür ihr Irrtum, sie wären nicht mehr unterwegs, sondern schon am Ziel angekommen, bräuchten nicht immer wieder die neuen Aufbrüche aus den alten Gewissheiten oder wollen sich die Verheißung durch eigene Tricks nach eigenen Vorstellungen verschaffen.
Das war bei Abraham auch nicht ganz anders. Die Geschichten, die von ihm erzählt werden, sind teilweise sehr unterschiedlich und manche passen überhaupt nicht ins Gesamtbild. Denn neben dem Abraham, der als Halbnomade in hohem Alter mit seinen Herden auf Futtersuche durch das Land zieht, gibt es Abraham als militärischen Führer, der seinen Neffen aus der Gefangenschaft befreit, und es gibt zwei Geschichten, in denen er seine Frau als seine Schwester ausgibt, weil er Probleme mit den jeweiligen Machthabern befürchtete, und die gab es dann prompt, weil diese Machthaber Sarah in ihren Harem aufnahmen (die Frau war nach den Erzählungen ca. 90 Jahre alt!!!) und dann mit Gott Probleme bekamen. Diese Geschichten erzählen von einem ganz anderen Abraham. Aber das gibt es ja bei nicht wenigen Menschen, dass da Seiten an ihrer Persönlichkeit und ihrem Leben sind, die so gar nicht zum Rest zu passen scheinen.
Und dass Vertrauen auch eine Größe ist, in der selbst beim „Urvater des Glaubens“ Krisen auftreten, machen die Abraham-Geschichten auch deutlich. Als es zu lange dauerte und Sarah als Mutter altersmäßig nicht mehr in Frage kam, schwängerte Abraham erfolgreich eine Nebenfrau namens Hagar, die einen Sohn namens Ismael gebar (= Stammvater der Araber*Innen). Damit, dachte der gute Abraham, habe er der Verheißung erfolgreich nachgeholfen. Das sah Gott allerdings anders und machte klar, es gehe um einen Sohn mit Sarah! Da mussten erst Abraham und später auch Sarah ziemlich lachen, denn das erschien ihnen als Witz (steht wirklich so in der Bibel in 1. Mose 17+18!). Abraham versuchte noch, mit Gott zu feilschen, dass der Segen auf Ismael übertragen würde, aber er musste weiter warten, bis dann endlich doch noch Isaak geboren wurde.
Die Geschichten von Abraham und Sarah machen in ihrer Schlichtheit doch so manches Grundlegende deutlich, das bis heute gilt, bei Menschen aber auch Institutionen wie etwa Kirchen:
- Wenn etwas so Zentrales wie eine Zukunftsperspektive fehlt, kann es nötig sein, das Gewohnte zu verlassen und sich auf einen Weg zu machen, denn im Gewohnten geschieht nur das Gewohnte! Reisen bildet nicht nur, manchmal verändert es grundlegend!
- Im Glauben geht es in erster Linie nicht um Steine, sondern um Menschen, die aufbrechen, Verheißungen und Träumen folgen, die manchmal auch der Mut verlässt, so dass sie den Weg verlieren und sich durchzumogeln versuchen. Dann heißt es in Sackgassen manchmal: Umkehren und wieder neu den richtigen Weg suchen! Und selten passt alles bruchlos zusammen!
- Der Bogen göttlicher Verheißungen und Herausforderungen ist nach der Bibel immer deutlich größer als unser menschlicher Erwartungshorizont. Bei Abraham hat es Generationen gebraucht, bis aus einer Familie ein Volk wurde und viele Jahrhunderte, bevor er religiös zum Urvater dreier Weltreligionen geworden ist. Er selbst hat nur einen kleinen Teil der Erfüllung der göttlichen Verheißung erlebt, die Geburt des versprochenen Sohns und damit die Zukunft. Es reichte, damit Abraham am Ende nach einem langen und erfüllten Leben mit seinen Vorfahren vereint und von seinen Söhnen Ismael und Isaak beerdigt wurde. Es muss sich nicht alles in einem Menschenleben erfüllen, aber genau damit haben wir Menschen ja oft Probleme!
Lest selbst nach: 1. Mose 12-25 Die Geschichten Abrams/Abrahams!
Und auch wenn sich in den kommenden Monaten nicht alles Erhoffte erfüllen wird,
wünsche ich Ihnen und Euch dennoch gesegnete Sommerzeit!
Ihr/Euer Pastor Schnoor