Liebe Leserinnen und Leser

Mittendrin im Frühling, auch wenn die Temperaturen noch etwas höher sein könnten. Wir sind in der Woche nach Misericordias Domini („Die Barmherzigkeit des Herrn“), ein Sonntag, der auch als „Sonntag des guten Hirten“ bezeichnet wird. Der Psalm für die Woche ist natürlich Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte…“ und auch die anderen Texte beschäftigen sich mit diesem Bild und so auch der Wochenspruch für diese Woche aus Johannes 10, 11a.27-28a: „Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.“

Ich bin bei diesem Bild immer etwas zwiegespalten gewesen. Das lag und liegt wohl vor allem daran, dass ich mich nicht als Schaf sehe! Denn natürlich gibt es da gewisse Unterschiede, und Schafe sind bei uns mit dem Vorurteil umgeben, doof zu sein. Wer will das schon sein.

Mir ist aber in diesem Jahr an unserem Wochenspruch eine Seite aufgefallen, die ich früher meist übersehen hatte. Vor allem in den letzten Wochen hatte ich bei mir, aber auch bei anderen Menschen das Gefühl, dass der Unwille über die Corona-Maßnahmen immer größer geworden ist, während es in der Anfangszeit der Pandemie doch eine sehr große Bereitschaft gab, den Anweisungen zu folgen. Es gab dieses Grundvertrauen, von dem auch der Wochenspruch redet: Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir.

Hier sind sich Schafe und Menschen vielleicht doch ähnlicher, als ich dachte. Wenn eine Vertrauensebene da ist, dann sind Schafe wie Menschen bereit, auf Anweisungen zu hören. Ein Schaf hört nämlich keineswegs auf jedes Kommando, das irgendein Mensch ruft – es muss schon der Hirte sein, der eine Vertrauensbeziehung erworben hat, der sich um die Schafe kümmert – und darum folgen sie den Anweisungen! Okay, manchmal üben die Schäferhunde auch einen gewissen Druck aus, um die Motivation zu steigern, aber nur mit Druck und ohne Vertrauen läuft weder auf Schafweiden noch in der Politik allzu viel. Die Hirten, das war im Alten Orient, aus dem die Bibel ja stammt, ein Bild nicht nur für Gott und religiöse Führer, sondern auch für Könige und Regierungen, denn die hatten ja auch für das Wohl der eigenen Bevölkerung zu sorgen. Taten sie nicht immer damals! Manchmal waren sie auch sehr mit sich selbst und der eigenen Macht beschäftigt! Der Predigttext aus Ezechiel/Hesekiel 34 vom Sonntag hatte genau das zum Thema. Kommt bis heute immer wieder mal vor! Jedenfalls konnte und kann man in den vergangenen Wochen und Monaten sehen, was geschieht, wenn die „Herde“/Bevölkerung den Eindruck gewinnt, die Hirten würden sich nicht mehr kümmern, würden wirre Anweisungen geben und anscheinend selbst den Weg nicht mehr kennen. Das Ergebnis: Die Herde ist verwirrt, der äußere Druck muss erhöht werden, damit nicht Teile der Herde verloren gehen.

Ein Teil des Dilemmas, in dem wir stecken, beruht wohl darauf, dass es nicht die eine Stimme gibt, der wir folgen können, weil sie glaubwürdig ist, sondern wir hören so viele Stimme, die unterschiedliche Dinge verkünden. Und letztlich kommt es auf unsere Entscheidung an: Vertraue ich dem Anspruch, „Ich bin der gute Hirte!“, d.h. erkenne ich denjenigen, der mich zu einem bestimmten Verhalten auffordert, als meine Leitfigur an oder bin ich durch die vielen Stimmen um mich so verwirrt, dass ich umherirre. Auch hier scheinen Schafe und Menschen derzeit so verschieden doch nicht zu sein!

Bei Jesus heißt der Anspruch: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.

Die Stimmen in der Pandemie bleiben mit ihren Versprechungen in diesem Leben, von dem wir zwar wissen, dass es irgendwann zu Ende sein wird, das wir aber doch wohl alle ziemlich lieb haben und so schnell dann doch nicht beenden wollen.

Im Johannes-Evangelium ist es aber sehr deutlich, dieses irdische Leben und das ewige Leben haben etwas miteinander zu tun und sind keine Gegensätze. Wer Christus und seinem Leben folgt, kann sehen, dass dieses irdische Leben eine Tiefe und Bedeutung hat, die wir leicht übersehen. Dieses Leben ist Teil des ewigen Lebens! Aber eben nicht in der Weise, dass schon alles fertig ist.

„Jesus ist nicht in dem Sinn ein Hirte, dass er einen vorgezeichneten Weg für mich hätte. Er mutet mir zu, meinen Weg selbst zu finden. Und manchmal entsteht der erst beim Gehen unter meinen Füßen. Und doch bin ich nicht allein. Ich kann mich an Jesus orientieren, kann mein Leben nach seinem richten und ihm folgen in der Liebe, die er gelebt hat. Dann sehe ich die Welt um mich herum mit seinen Augen und halte für möglich, dass ich sie in seinem Sinne verändern kann. Und er, Jesus Christus, ist bei mir, ein verlässlicher Freund an meiner Seite.“

An der Kreuzung

An der Kreuzung weiß ich nicht, welches der richtige Weg ist.

Und trotzdem muss ich gehen.

Manchmal lande ich in einer Sackgasse.

Eine mühsame Strecke führt doch zu nichts.

Manchmal gehe ich weite Schleifen, manchmal sogar im Kreis.

Doch an den Wegrändern finde ich zuweilen köstliche Beeren,

und die Luft ist weich vom Duft nach Geißblatt und Holunder.

Ich bitte dich, Gott: Begleite mich.

Sei nah, auf den schönen Wegen und auf den schweren.

(aus Tina Willms: Erdennah – Himmelweit, 64-65)

Es wird nicht einfach sein, in jeder Entscheidung, den richtigen Weg zu wählen, aber sich anzusehen, wie Jesus Christus seinen Weg gegangen ist, kann eine gute Hilfe für die eigenen Entscheidungen sein und uns vor Panik bewahren. Denn die brauchen wir ebenso wenig wie eine Schafherde!

Habt eine gesegnete Zeit, und findet gute Wege und saftige Weidegründe!

Ihr /Euer Pastor Schnoor