Liebe Leserinnen und Leser

Das Thema des vergangenen Sonntags, das Gebet. „Rogate“ (=Betet!) so hieß er. Thema für diese Wochenandacht ist also eindeutig! Oder doch nicht? Denn was wir unter Gebet verstehen, kann doch ziemlich unterschiedlich sein. Jedenfalls hat sich mein Verständnis vom Gebet im Laufe der Zeit doch sehr verändert.

Angefangen hat es mit der kindlichen Grundüberzeugung, Gott sei so etwas wie die Eltern in übergroß. Denn dass Papa und Mama zwar ganz viel konnten, aber nicht alles, hatte ich ab einem bestimmten Alter schon gelernt. Also wurde Gott um das gebeten, was für die Eltern zu schwierig war. Wahrscheinlich geht das vielen Menschen so, die Anfänge vom Beten liegen im Bitten. Meine Bitten haben sich im Laufe der Zeit dann verändert. Waren es in der früheren Zeit Bitten um gute Noten bei Klausuren oder um gutes Wetter, wenn am nächsten Tag eine Außenveranstaltung sein sollte, so änderte sich das später, weil ich eingesehen habe: Gott ist keine Wunscherfüllungsmaschine! Irgendwann ging es mir wohl so wie der Gemeinde des amerikanischen Mittelwestens, die vom Pastor zurechtgewiesen wurde: “Euer Unglaube, Schwestern und Brüder, ist ein Skandal! Wir sind hier versammelt, um ein Bittgebet an den Himmel zu richten, er möge uns nach der langen Trockenheit Regen schicken. Und was sehe ich? Nicht einer von Euch hat für den Heimweg einen Schirm mitgebracht.”

Ich kam in das Alter, in dem Gott zu einer Art großem Freund und Begleiter wurde. Für das Gebet bedeutete das, dass sich meine Bitten u.a. in die Richtung veränderte, dass ich Gott um Mut oder Geduld, um innere Ruhe oder die Klärung eines Problems bat. Ich bekam also eine Erkenntnis im Sinne: Fischer waren draußen beim Fang mit ihrem Boot. Da kam ein Sturm auf. Sie fürchteten sich so sehr, dass sie die Ruder wegwarfen und den Himmel anflehten, sie zu retten. Aber das Boot wurde immer weiter weggetrieben vom Ufer. Da sagte ein alter Fischer: “Was haben wir auch die Ruder weggeworfen! Zu Gott beten und zum Ufer rudern – nur dies beides zusammen kann da helfen.” Selber tun, was geht, im Vertrauen, dass es nicht nur – aber auch – auf mich ankommt!

Ich merkte mit zunehmendem Alter allerdings stärker, dass es neben dem Bitten auch noch andere Seiten des Gebets gibt: Das Danken, das Loben und das Fürbitten!

Was wäre es für eine Freundschaft, in der der eine Freund nur andauernd um etwas gebeten wird. Der Dank macht mir deutlich, wie wertvoll diese Beziehung für mich selbst ist, eben wie eine gute Freundschaft, und im Lob gebe ich den Dank an Gott zurück und sage, was Gott mir bedeutet! Und dadurch mache ich mir das selber auch noch mal deutlich! Und die Fürbitte lässt mich über den eigenen Tellerrand schauen. Ich sehe andere Menschen mit ihren Sorgen und Nöten, ich bringe sie vor Gott und beschäftige mich, wenn ich intensiv bete, mit der Frage, wo und was genau ich selbst unternehmen kann, um zu helfen.

Aber wozu überhaupt beten? Diese Frage beschäftigte mich dann auch lange. Theoretisch bin ich auch zu der Antwort der nächsten Geschichte gekommen:

Als der Meister einmal eine hochgestellte Persönlichkeit zur Meditation einlud, erhielt er die Antwort, er sei zu beschäftigt. Da sagte der Meister seinen Schülern: “Dieser Mann erinnert mich an einen Holzfäller, der Zeit und Kraft verschwendete, weil er mit einer stumpfen Axt arbeitete. Denn, wie der Mann erschöpft sagte, habe er keine Zeit, die Schneide zu schärfen.” Ich gestehe allerdings, dass meine Gebetspraxis meiner theoretischen Einsicht noch deutlich hinterherhinkt, und es mir oft wie dem jungen Mann in der folgenden Geschichte geht, der keine greifbaren Fortschritte im Gebet machte und einen letzten Versuch startete:

Er wollte schon mit dem Gebet und der Meditation aufhören, da hörte er von einem Weisen, der in der Wüste lebte und der ein Meister in Gebet und Meditation sei.

Also gut, dachte er, einen letzten Versuch will ich wagen und diesen Weisen besuchen und ihn fragen, wie denn das Beten ginge. Und er machte sich auf, fand den Weisen in der Wüste und fragte ihn: “Du bist doch ein Meister in Gebet und Meditation, lehre mich so beten, dass für mich auch ein Erfolg dabei herauskommt.” Und der Weise sagte zu ihm: “Siehst du den dreckigen Drahtkorb dort liegen?” “Ja!” “Dann nimm ihn und hole damit Wasser.”

Der junge Mann nahm den Drahtkorb, ging einige hundert Meter bis zum Brunnen, schöpfte mit dem Drahtkorb Wasser und machte sich auf den Weg zum Weisen. Doch bis er dort angekommen war, war alles Wasser aus dem Drahtkorb herausgelaufen.

Der Weise sagte zu ihm: “Geh und hol Wasser!” Und er machte sich zum zweiten Mal auf den Weg, doch der Erfolg war genau derselbe. Der Weise forderte ihn zum dritten Mal auf: “Geh und hol Wasser!”

Und das wiederholte sich noch einige Male, bis der junge Mann ungeduldig wurde und dachte: “Das klappt doch nie, ich frage den Weisen einmal.” Und er sagte zu ihm: “Du siehst doch, mit dem Drahtkorb kann man kein Wasser holen, es läuft alles heraus.”

Da sagte der Weise: “Genauso ist es mit dem Gebet, du hast zwar kein Wasser zu mir gebracht, aber der Drahtkorb, der am Anfang dreckig war, ist jetzt sauber, und so verhält es sich auch beim Beten. Wenn du beim Gebet nicht die Erfahrung hast, etwas in den Händen zurückzubehalten, so hat dich doch das Beten und das Meditieren gereinigt.”

Beten verändert mich, meine Sicht auf die Welt, auf Gott, auf mein Tun und Lassen und auf andere Menschen. Und es ist wie beim Sport: Ich kann es mit dem Gebet halten wie mit dem Laufen. Ich kann regelmäßig trainieren und so Kondition aufbauen und das Fließen von Glückshormonen erleichtern (habe ich mir sagen lassen!) oder ich laufe/bete grundsätzlich nur in absoluter Lebensgefahr und komme über die Bitte nie hinaus.

Eine tägliche kleine Gebetsübung ist das Tischgebet – wenn man es bewusst tut und nicht mechanisch. Es wirkt, ist bei manchen Zeitgenossen aber nicht besonders angesehen:

Ein Bauer kam einmal in ein Wirtshaus, in dem schon viele Gäste waren, darunter auch feine Leute aus der Stadt. Der Bauer setzte sich hin und bestellte sein Essen. Wie es ihm gebracht wird, faltet er die Hände und spricht das Tischgebet. Darüber machten sich die Leute aus der Stadt lustig, und ein junger Mann fragte den Bauer: “Bei euch zu Hause macht man das wohl so? Da betet wahrscheinlich alles?” Der Bauer, der inzwischen ruhig zu essen angefangen hatte, antwortete dem Spötter: “Nein, es betet auch bei uns nicht alles.” Der junge Mann fragte weiter: “Na, wer betet denn nicht?” “Nun”, meint der Bauer, “zum Beispiel mein Ochs, mein Esel und mein Schwein. Sie gehen ohne Gebet an die Futterkrippe.”

Und das Vaterunser zu meditieren, hat sich für mich auch als sehr hilfreich herausgestellt, denn ich habe gemerkt: Der immer gleiche Text wirkt auf mich völlig unterschiedlich, je nach der Situation, in der ich es bete (Andacht/Gottesdienst oder Taufe oder Beerdigung oder Konfirmandenunterricht oder am Ende einer Sitzung usw.)

Habt eine gesegnete Zeit und Gebete, die Euch voranbringen und Kraft geben

Euer Pastor Schnoor