Liebe Leserinnen und Leser

Wie ist es mit Ihnen/Euch und der Nacht? Schlaft Ihr gut oder doch oft eher nicht so gut? Werdet Ihr manchmal wach und könnt dann nicht wieder einschlafen oder erst nach langer Zeit? Bei mir ist die Tiefe des Schlafs mit zunehmendem Alter verloren gegangen. Früher habe ich geschlafen wie ein Stein, nicht so ganz lang aber erholsam. Heute wache ich immer mal wieder auf in der Nacht – und wenn es gut geht, schlafe ich schnell wieder ein.

Manchmal geht es nicht gut! Dann wälze ich mich im Bett und versuche einzuschlafen – und es klappt nicht! Ich habe dann weder Geduld noch viel Lust auf Grübeleien, stehe auf, gehe ins Wohnzimmer, lege mich auf die Couch und mache den Fernseher an bis es Zeit wird, aufzustehen. Meistens bin ich genau dann wieder müde! Hilft nichts.

Das ist nicht sehr kreativ, aber ich habe nachts einfach keine Lust zu grübeln oder zu lesen und tue das nur sehr selten. Und wenn ich nicht so wach werde, dass ich nicht wieder einschlafen kann, erinnere ich mich zwar manchmal noch kurz an die Träume, die ich gerade hatte, aber ich vergesse sie auch meist schnell wieder, denn Albträume scheint es bei mir nur sehr selten zu geben. Eher habe ich in den Pandemiezeiten sehr viel von Fahrten, Gruppenausflügen und sonstigen Reisen geträumt. Und wenn ich mal wirklich schlecht geträumt habe, dann drehe ich mich um, denn das wirkt bei mir wie eine Fernbedienung – ich bekomme ein anderes Traumprogramm!

Ich würde sagen, ich bin im Grunde ein glücklicher Schläfer, und die meisten Nächte sind für mich immer noch ziemlich erholsame Zeiten. Denn die Nacht hat für manche Menschen ja noch ganz andere und viel grundlegendere Erfahrungen bereit.

In der Bibel ist der Erzvater Jakob so jemand. Jakob gibt uns ein Beispiel für das Wandern von einem Tag zum andern, von einem Leben, das auch die Nacht umschließt.

Nach dem Betrug an seinem Vater und an seinem Bruder Esau flieht er in einer Nacht- und Nebelaktion mit Hilfe seiner Mutter aus seiner Heimat. Eben noch geborgen im Zeltdorf des Vaters wird er zu einem schutzlosen Vagabunden in der Steppe. Und das wird noch bewusster und spürbarer, als die Nacht einbricht. Vielleicht wollte die Jakobsgeschichte ursprünglich einmal auf die Frage antworten: Wer ist Herr der Nacht? Ist es Gott? Sind es die Dämonen? Ist Gott vielleicht ein Gott, der nur am Tag gut sieht, der aber die Nächte den bösen Geistern überlassen muss? Immer wieder kommt dieses archaische Denken zum Vorschein, etwa wenn in der Silvesternacht durch die Böllerschüsse die bösen Geister vertrieben werden sollen.

Wer oder was sind die Gefahren der Nacht? Es sind die wilden Tiere, alles, was in der Steppe herumschleicht. Wölfe, Löwen, Schlangen. Die wilden Tiere werden zum Symbol für das, was die Seele in der Nacht aufzuwühlen vermag: Ängste, Selbstvorwürfe, Phantasien.

Paul Gerhardt kennt die Bedrohungen der Nacht, äußere und innere: »Dass Feuerflammen uns nicht allzusammen mit unsern Häusern unversehrt gefressen … dass Dieb und Räuber unser Gut und Leiber nicht angetast und grausamlich verletzet«. »Heint (=heute Nacht), als die dunklen Schatten mich ganz umgeben hatten, hat Satan mein begehrtet …«

Und unsere dicken Mauern und festen Türen mit ihren Sicherheitsschlössern und vielleicht auch unsere Schlaftabletten bieten keine letzte Sicherheit gegen die Gefahren der Nacht. Ich erinnere mich immer noch an das Gefühl, als ich vor etlichen Jahren eines Morgens bemerkte: In der Nacht zuvor ist in unserem Pastorat eingebrochen worden!

Jedenfalls: Jakob legt sich nieder, schläft ein und hat einen Traum. In der Regel sind die jüdischen Weisen der Vorstellung von Gottesoffenbarungen im Traum gegenüber eher skeptisch. So heißt es: »Man zeigt einem Menschen im Traum nur von den Grübeleien seines Herzens.« Womit sich jemand tagsüber beschäftigt, davon träumt er. Im Falle Jakobs: »Die Ängste und Schuldkomplexe über sein Missverhalten dem getäuschten Bruder und hintergangenen Vater gegenüber äußern sich in Traumbildern, durch die sie verarbeitet werden. Positiv verarbeitet in unserem Fall. Am Morgen kommt Jakob zu dem Ergebnis: In diesem Traum ist mir Gott begegnet. In diesem Traum hat Gott zu mir gesprochen. Die ganze jüdische und christliche Tradition sieht das so. Jakob sieht eine Treppe zum Himmel und die Engel. Und er hört Gottes Zusage von Schutz und Segen.

Leiter oder Stiege, wie meist übersetzt wird und Engel sind Symbole. Himmel und Erde bleiben verbunden. Auch wenn du in deinem Bedürfnis, deine Existenz zu sichern, in deiner Gier, weit über dein Ziel hinausgeschossen bist, Vater und Bruder betrogen hast, bist du nicht vom Himmel, nicht von Gott abgeschnitten. Du bist nicht dem Grauen der Nacht preisgegeben. Du musst nicht erschrecken vor dem Grauen der Nacht, vor der Pest, die im Finstern schleicht … der Herr ist deine Zuversicht.« So heißt es in Psalm 91. Das wird seit alters in der Komplet, im Nachtgebet der Kirche, gesungen. Das erfährt Jakob im Traum, auch wenn er nicht im Traum daran gedacht hätte.

Eine der Verheißungen, die Jakob hört, lautet: »Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst.« Das ist eine Zusage, die sich wie ein roter Faden durch die heilige Schrift zieht. Vom 1. Buch Mose über die Psalmen und Propheten bis in die Schriften des Neuen Testaments. Jesus sagt: »Siehe, ich bin bei euch alle Tage.« Eine Antwort auf Gottes Zusage ist Psalm 23: »Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.«

Mitten in der dunklen Nacht ist für Jakob der Himmel hell geworden durch Gottes Gegenwart. Auch die Nacht ist Gottes Zeit. Gerade die Nacht ist Gottes Zeit. Die Christnacht ist die Zeit der Geburt, die Osternacht die Zeit der Auferstehung des Heilands.

»Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: »Fürwahr, der Herr ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht.« Eine Erfahrung, die auch in anderen Nächten an anderen Orten von anderen Menschen gemacht werden kann. Das weiß ich von mir selbst!

In jeder Nacht, die mich umfängt, darf ich in deine Arme fallen,   

und du, der nichts als Liebe denkt, wachst über mir, wachst über allen.  

Du birgst mich in der Finsternis. Dein Wort bleibt noch im Tod gewiss.

(Jochen Klepper, Trostlied am Abend, letzte Strophe.)

Habt eine gesegnete Zeit, erfüllte Tage und erholsame Nächte oder zumindest befreiende Nächte (oder auch Tage!)

Ihr/Euer Pastor Schnoor