Liebe Leserinnen und Leser,

Und jetzt sind wir schon „zwischen den Jahren“, jedenfalls was das Kirchenjahr betrifft! Toten- bzw. Ewigkeitssonntag liegt hinter uns und der 1. Advent vor uns. Ich hatte mich entschieden am vergangenen Sonntag den Gottesdienst mehr liturgisch-meditativ um die Verlesung der Verstorbenen herum zu gestalten und auf eine eigentliche Predigt zu verzichten. Aber wie üblich habe ich doch in meinem Material gesucht und etwas gefunden, das ich für Sonntag eher nicht gebrauchen konnte – aber für diese Wochenandacht schien es mit sehr passend. Es ist eine kleine Bildandacht von Bernd Niss zu einem Foto von Frank Kunert (in Werkstatt special, Ergänzungslieferung 5/2018, K 10-10) unter dem Titel:

Das Leben geht weiter

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© Frank Kunert / www.frank-kunert.de

Mit der Ruhe ist ja so eine Sache. Sie kann himmlisch sein und mehr als erwünscht. Sie kann aber auch bedrohlich wirken und abschreckend. Leer­stehende Häuser und Wohnungen wirken unheimlich ruhig. Ruhe steht dann für fehlendes Leben — für zu wenig Leben. Grabesruhe oder Friedhofsruhe. Das macht mich dann schon wieder unruhig. Manchem Witwer wird die Ruhe im Haus zu viel. Auch wenn er fand, dass seine verstorbene Frau zu Lebzeiten viel zu viel geredet hat. Jetzt verleitet ihn die fehlende Stimme und die stän­dige Ruhe dazu, sich gehen zu lassen. Ruhe lässt sich nur genießen, wenn man weiß, spürt oder ahnt: Gleich ist es wieder vorbei mit der Ruhe. Ruhe und Unruhe. Aktiv sein und ausruhen, das gehört eben zusammen.

Am siebten Tag ruht Gott aus von seinen Werken, weiß die Bibel. Ansonsten tut er nichts. Einen Tag Ruhe, am letzten Tag der Woche. Die Ruhe steht am Ende — darauf läuft alles zu. — Ein ganzes Leben lang. „Denn wer zu Gottes Ruhe gekommen ist, der ruht auch von seinen Werken so wie Gott von den seinen”, heißt es im Hebräerbrief (4,10). Die Ruhe ist groß und umfassend. Vielleicht sogar der Sinn des Lebens — als Ziel unseres Lebens. Ruhe.

Viele von Ihnen haben in den letzten zwölf Monaten einen nahen Menschen verloren. Sie haben begleitet, haben geholfen, gepflegt, waren da, Das ist anstrengend, hilft aber dabei, sich auf den Tod eines Menschen vorzuberei­ten. Allmählich Abschied nehmen. Für andere kam der Tod plötzlich ins Leben. Was ist mit ihnen? Was ist mit den Verstorbenen?

Früher stand auf den Grabsteinen oft: „Hier ruht in Frieden …” und dann folgt der Name. Grabsteine wie auf dem Foto von Frank Kunert. Ein schlichtes Grab. Ein Grabstein mit Kreuz, eine Hecke, eine Vase (die aussieht, als wäre sie im Haushalt ausgemustert) mit Blumen. Die Überraschung bietet der zweite Blick — statt Name und Lebensdaten ein Klingelschild, ein Klingelknopf, ein Briefschlitz, in dem die Zeitung steckt (sogar mit Aufkleber: „Bitte keine Werbung einwerfen”). Das Bild von Frank Kunert hat den doppeldeutigen Titel: Das Leben geht weiter, Ich finde das witzig. Und mehr noch: Ich finde es rührend. Das Leben geht weiter, hören trauernde Menschen häufig von anderen. Oft sagen sie es sich sogar selbst. Das Leben geht weiter. Ja, natürlich geht es das. Auch wenn ein Mensch, der einem nah war, gestorben ist und nun fehlt. Am nächsten Tag steckt wieder die Zeitung im Kasten. Es klingelt jemand an der Tür oder es läutet das Telefon. Man muss sich mit Rechnungen und der Werbung beschäftigen.

Frank Kunert setzt die Hoffnung ins Bild. Das Leben geht weiter, auch für die, die wir begraben haben. Nun ja — sicher nicht mit Zeitung und Klingel­schild. Doch wie viele Trauernde wenden sich mit ihren Nachrichten, mit den Neuigkeiten noch an die Verstorbenen? Besuchen die Gräber und sind in Gedanken bei denen, die nicht mehr da sind? Wenn man so will: Wir können die Toten nicht gleich in Ruhe lassen — sie lassen uns ja auch nicht in Ruhe. Und wir erbitten: Gib ihnen Frieden, Gott. Lass sie vom Leben ausruhen.

Ruhe ja, aber wie das dann im Einzelnen aussieht und was Gott dann noch vor hat mit uns Gestorbenen, also alles, was „danach” kommt, das wissen wir im Detail nicht. Was den Ort und die Art des „Danach” betrifft, sollte man es vielleicht mit dem Hamburger halten: „Gar nicht um kümmern.”— Nicht wegen eines hanseatischen Gleichmuts, sondern deswegen, weil wir uns am besten ganz allein auf Gott verlassen. Wer in dieser Weise „unbekümmert” und „gelassen” lebt, der lebt richtig. Das Leben geht weiter — auf dieser und auf der anderen Seite.

Auf dieser Seite üben wir vielleicht für die letzte Ruhe. Nehmen uns Ruhe­phasen und Auszeiten. Sie helfen uns zu erkennen: Unsere Arbeit, unsere Leistungen, unsere Erfolge sind schön, aber sie sind nicht das ganze Leben. Unsere Sorgen, unsere Unruhe, unsere Trauer bedrücken uns, aber sie sind nicht das ganze Leben. Gott sei Dank.

Ich fand das ein wunderbares Bild und Nachdenkens werte Gedanken. Darum wollte ich es mit Ihnen und Euch teilen. Kommt gut in die Adventszeit hinein und lasst Euch nicht irre machen durch die täglichen Hiobsbotschaften von der Corona-Front oder von sonst etwas. Das tun, was möglich ist und die Nächsten nicht gefährdet, ohne ideologische Verblendung und Panik, aber mit dem, was man früher „Gottvertrauen“ nannte. So kommen wir durch jede Dunkelheit wieder zum Licht und helfen einander durch die Durststrecken, die dieser Pandemiemarathon so mit sich bringt.

BLEIBT BEHÜTET!

Ihr/Euer Pastor Schnoor