Liebe Leserinnen und Leser,

Der Advent schreitet voran und in unserer Familie sind wir in diesem Jahr mit den technischen Vorbereitungen auf Weihnachten für unsere Verhältnisse ziemlich weit vorangeschritten: Der Rundbrief ist geschrieben und wird verteilt, die meisten Geschenke sind besorgt, die zeitliche Planung der letzten 1 ½ Wochen steht. Wir hatten am Wochenende ein schönes „1. Lichterfest“ in Süderbrarup, also einen kleinen Weihnachtsmarkt, den ich mit dem Prediger der Gemeinschaft, Sebastian Bublies, zusammen am Samstag eröffnen und am Sonntag mit einem Gottesdienst begleiten durfte. Es war schön. Und trotzdem macht mir die Dunkelheit in diesem Jahr sehr zu schaffen, und vorweihnachtliche Stimmung mag sich in mir noch nicht einstellen.

Heute Morgen allerdings bekam ich auf der Suche nach einem Thema für diese Andacht einen doppelten Hinweis (ein Wink des Heiligen Geistes?): Zunächst einmal musste ich auf dem Weg in mein Arbeitszimmer durch unser Wohnzimmer. Dort machte meine ältere Tochter ihre Yoga-Übungen. Das macht sie meist morgens, wenn sie einmal bei uns ist, also habe ich mir nichts gedacht. Am Schreibtisch Schaute ich dann auf der Suche nach Inspiration in ein Buch mit kurzen Texten und stieß sehr schnell auf einen Text Adventliche Gymnastik (Beweglich werden). Da ich in Sachen Gymnastik nun wahrlich kein Fachmann bin, möchte ich diesen Text mit euch teilen, denn 2x direkt hintereinander „Sport“ am frühen Morgen – das ist ein Zeichen, jedenfalls in meinem Leben! Hier also „Adventliche Gymnastik“! (aus Wolfgang Raible, 100 Kurzansprachen, Freiburg/Br. 2009, 18-19)

In seinem Buch »Die Wasserträger Gottes« erzählt der jüdische Schriftsteller Manes Sperber, wie sehr die armen Bewohner seines Heimatstädtchens das Kommen des Messias herbeigesehnt hätten. Der Großvater sei oft vom kargen Essen aufgesprungen und auf einen nahen Hügel gerannt, um nach ihm Ausschau zu halten. Und die Kinder hätten geübt, so lange wie möglich auf den Händen zu stehen und zu gehen. Sie hatten nämlich gelernt, dass der Messias, wenn er kommt, die Welt auf den Kopf stellt – und den Ungeübten würde das, so glaubten sie, viele Schwierigkeiten bereiten. ›Messianische Gymnastik‹ nannten die Kinder ihr Spiel.

Wenn wir uns für die Adventszeit wünschen, dass Jesus neu bei uns ankommt, dann könnten wir von diesen Kindern einiges lernen. Als adventliches Trainingsprogramm für Erwachsene schlage ich vor: Lockerungsübungen für den Mund: damit ich ihn im rechten Augenblick schließen, damit ich schweigen und still werden kann – denn im Lärm und in der Geschwätzigkeit findet Jesus keinen Zugang zu uns.

Damit ich meinen Mund aber auch öffnen kann, wo es nötig ist; damit ich ein mündiger Christ werde, der für andere gute Worte findet. Ehrliche, überzeugende, tröstende und aufbauende Worte – denn Jesus will auch durch unsere Worte zur Welt kommen.

Lockerungsübungen für die Augen: damit ich sie schließen kann, wenn ich von Bildern und Eindrücken überflutet werde. Damit ich immer wieder nach innen schauen kann – denn so entdecke ich vielleicht die Spur Jesu in meinen Hoffnungen und Enttäuschungen, in meinen Gefühlen und in meinem Nachdenken. So lerne ich vielleicht, mit dem Herzen zu sehen.

Damit ich meine Augen aber auch weit aufmachen kann. Damit ich wach bin für das, was um mich herum geschieht, und hellsichtig für andere, die mich brauchen – denn Jesus begegnet mir auch in den Menschen, die er mir auf den Weg stellt.

Lockerungsübungen für die Ohren: Damit ich sie offen halten kann für das, was andere mir sagen und mich fragen wollen. Damit auch die Zwischentöne und die leisen Töne noch bei mir ankommen – denn die Stimme Jesu ist nie laut und schrill.

Damit ich meine Ohren aber auch im rechten Augenblick schließen kann. Damit ich in mich hineinhöre und erfahre, was an Stimmungen und Gedanken in mir ist – denn so höre ich vielleicht die Lebensmelodie, die Jesus mir zuspielt, die Saiten, die er in mir zum Klingen bringt.

Adventliche Gymnastik, Lockerungsübungen für Mund, Augen und Ohren – damit wir ein wenig beweglicher werden in diesen Tagen …

Ich weiß je nicht, wie es Ihnen und Euch so geht. Ich ertappe mich des Öfteren dabei, zu meinen, dass sich bestimmte Gefühle oder auch spirituelle Zugänge quasi von allein einstellen sollen. Meine Erfahrung ist allerdings: Das tun sie nur in den seltensten Fällen! D.h. ich fürchte, ich komme um Üben nicht herum, obwohl ich mich immer nur sehr schwer zu solchen regelmäßigen Verhaltensweisen aufraffen kann.

Mir etwa einige Minuten am Morgen für Gebet oder Meditation zu nehmen oder die Losungen zu lesen und zu bedenken oder einen bestimmten Abschnitt aus einem biblischen Buch. Es mag eine Kleinigkeit sein, aber wenn ich mich dazu bringe, es jeden Tag zu tun, wird es anfangen, meinen Tag zu prägen und vielleicht, meine Sichtweise auf die Wirklichkeit neu auszurichten. Aber lasse ich es weg, dann fehlt dieser Impuls, und ich darf mich nicht allzu sehr wundern, wenn sich etwa Weihnachtsstimmung nicht einstellen mag.

Es ist dann wie in der folgenden Geschichte eines alten Brunnens:

In der Nähe eines alten Bauernhauses lag ein alter Brunnen. Sein Wasser war ungewöhnlich kalt und rein und köstlich zu trinken. Aber das Besondere war: er trocknete nie aus. Selbst bei der größten sommerlichen Dürre, wenn schon überall das kostbare Nass rationiert wurde, gab er getreu sein kühles, klares Wasser.

Dann kam die Zeit, in der alles modernisiert wurde. Das Haus wurde umgebaut; es wurde auch eine Wasserleitung gelegt. Den alten Brunnen brauchte man nicht mehr. Er wurde verschlossen und versiegelt. So blieb es mehrere Jahre.

Eines Tages wollte ein Hausbewohner aus Neugierde noch einmal in die dunkle und feuchte Tiefe des Brunnens sehen. Er deckte den Brunnen ab und wunderte sich: Der Brunnen war total ausgetrocknet. Der Mann wollte herausbekommen, wie das geschehen konnte. Aber es dauerte lange, bis er den Grund wusste: Ein solcher Brunnen wird von Hunderten winziger Bäche gespeist, die unter der Erde für den ständigen Wasservorrat sorgen. Die winzigen Öffnungen der vielen Bächlein bleiben nur dann rein und offen, wenn immer wieder Wasser abgeschöpft wird. Wird ein solcher Brunnen aber nicht mehr benutzt, dann versiegen die Bäche.

Das ist bei Spiritualität und gelebtem Glauben nicht viel anders. Es ist zwar schön, wenn ich noch einiges aus meiner Kindergottesdienst- oder Konfirmanden-Zeit – oder bei mir aus dem Studium! – in Erinnerung habe, aber wenn ich es nicht in meinem Alltag übe, wird der Kontakt loser und loser. Und dass die bloße Mitgliedschaft in einem Sportverein die Fitness nicht steigert, brauche ich wohl nicht näher zu erklären.

Also ich gelobe schon mal Besserung und nehme mir jetzt jeden Morgen meine Minuten für adventliche/geistliche/spirituelle – oder wie Ihr es nennen wollt- Gymnastik!

Ihr/Euer Pastor Schnoor