Liebe Leserinnen und Leser

Wer in seinem Leben mit Kindergottesdienst oder Kinderbibeln zu tun hatte, kennt auch den „Hauptmann von Kapernaum“. Am vergangenen Sonntag hatte ich mit ihm zu tun, es war der Predigttext. Und ich habe darüber gepredigt, dass das Heil, das Jesus verkündet und gelebt hat, nicht an irgendwelchen menschlichen Grenzen endet, nicht an denen seines Volkes damals und nicht an denen von Kirche heute. Und der Glaube von Menschen kann sich ganz anders zeigen als wir es kennen, und dieser Glaube kann stark sein und auch für uns Vorbildcharakter bekommen und Grenzen überspringen.

Ach, Sie waren damals nicht im Kindergottesdienst und Ihr kennt die Geschichte von diesem römischen Hauptmann gar nicht?! Nun, hier ist die Geschichte. Sie steht u.a. bei Matthäus im 8. Kapitel:

5 Jesus ging nach Kapernaum. Da kam ihm ein römischer Hauptmann entgegen. Er sagte zu Jesus: 6 »Herr, mein Diener liegt gelähmt zu Hause. Er hat furchtbare Schmerzen!« 7 Jesus antwortete: »Ich will kommen und ihn gesund machen.« 8 Der Hauptmann erwiderte: »Herr! Ich bin es nicht wert, dass du mein Haus betrittst! Aber sprich nur ein Wort, und mein Diener wird gesund! 9 Denn auch bei mir ist es so, dass ich Befehlen gehorchen muss. Und ich selbst habe Soldaten, die mir unterstehen. Wenn ich zu einem sage: ›Geh!‹, dann geht er. Und wenn ich zu einem anderen sage: ›Komm!‹, dann kommt er. Und wenn ich zu meinem Diener sage: ›Tu das!‹, dann tut er es.« 10 Als Jesus das hörte, staunte er. Er sagte zu den Leuten, die ihm gefolgt waren: »Amen, das sage ich euch: Bei niemandem in Israel habe ich so einen Glauben gefunden! 11 Ich sage euch: Viele werden aus Ost und West kommen. Sie werden mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch liegen.12 Aber die Erben des Reiches werden hinausgeworfen in die völlige Finsternis. Da draußen gibt es nur Heulen und Zähneklappern.« 13 Dann sagte Jesus zum Hauptmann: »Geh! So wie du geglaubt hast, soll es geschehen!« In derselben Stunde wurde sein Diener gesund.

Wunderbare Geschichte von einem Militär, der seine berufliche Erfahrungsstruktur von Befehl und Gehorsam einfach auf den Bereich ausdehnt, in dem er keinerlei Befehlsgewalt hat, sondern nur bitten kann, er der Vertreter einer Besatzungsmacht. Mit ihm hatte ein frommer Jude möglichst keinen Kontakt zu haben. Der Hauptmann weiß darum und will es deshalb Jesus nicht zumuten, in sein Haus zu kommen und überträgt das Prinzip von Befehl und Gehorsam auf den religiösen Bereich und die Heilung seines Dieners. „Jesus, ich kenne das mit Befehl und Gehorsam und ich sehe, dass Gott Dir auch Befehlsgewalt über Krankheit gegeben hat. Du hast schließlich schon eine Reihe Menschen geheilt! Also könntest Du bitte auch hier, dein Befehlswort zur Heilung sprechen?“

Jesus ist sichtlich beeindruckt und sagt: Wie du geglaubt hast, soll es geschehen! Und es geschah! Und beiläufig wird erwähnt, dass der Diener gesund wurde.

Beeindruckender Glaube an Befehl und Gehorsam, und ich muss gestehen, ich habe nicht so einen Glauben wie der römische Hauptmann! Und damit meine ich nicht nur die Stärke, sondern mein Glaube ist auch völlig anders strukturiert. Ich glaube nicht in den Kategorien von Befehl und Gehorsam.

Was wäre eigentlich passiert, wenn unser Hauptmann nach Hause gekommen wäre, und sein Diener wäre nicht gesund geworden? Was hätte das in seinem Glauben bedeutet? Dass Jesus doch nicht die Macht Gottes zum Heilen hat, dass er versagt hat? Oder dass Gott ihm, dem Heiden, dem Fremden, dem Besatzer nicht helfen wird? Für dich nicht, Fremder?

Am Sonntag waren mir solche Gedanken noch nicht gekommen, aber seither hatte ich einen 68-jährigen Mann zu beerdigen, der ganz plötzlich verstorben war und zwei Tage später noch einen 21-Jährigen, der seinem Leben ein Ende gesetzt hatte. Keine Erfüllung der Wünsche, diese Leben zu retten. Was hätte der Hauptmann gesagt, wenn einer von den beiden sein Diener gewesen wäre? Und dann habe ich in der Zeitung noch von einer jungen Frau gelesen, die seit Jahren mit einer Autoimmunkrankheit lebt, d.h. ihr eigenes Abwehrsystem greift ihren Körper immer wieder an und sie wird nur noch sehr begrenzt Zeit haben und nicht gesund werden. Und trotzdem lebt diese junge Frau jeden Tag, der ihr noch geschenkt ist, so intensiv wie sie kann und strahlt Lebensfreude noch über einen Zeitungsartikel aus. Eine ganz andere Art von Glauben als der des Römischen Hauptmanns in der Bibel, ein Glaube, mit dem ich mehr anfangen kann als mit Befehl und Gehorsam und der, davon bin ich überzeugt, Jesus mindestens genauso beeindruckt hätte, wie der römische Militär.

Und es ist eine Form von Glauben, die eine Verwandtschaft zum Glauben eines jüdischen Hiob in der folgenden Geschichte aufweist, die mir auch noch begegnet ist!

Ein Jude – seine Frau und Kinder waren schon umgekommen – schrieb als Letztes in einem zusammenstürzenden Haus des brennenden Warschauer Ghettos:

“Mein Rabbi hat mir oft eine Geschichte erzählt von einem Juden, der mit Frau und Kindern der spanischen Inquisition entflohen ist und über das stürmische Meer in einem kleinen Boot zu einer steinigen Insel trieb. Es kam ein Blitz und erschlug die Frau. Es kam ein Sturm und schleuderte seine Kinder ins Meer. Allein, elend wie ein Stein, nackt und barfuß, geschlagen vom Sturm und geängstigt von Donner und Blitz, mit verwirrtem Haar und die Hände zu Gott erhoben, ist der Jude seinen Weg weitergegangen auf der wüsten Felseninsel und hat zu Gott gesagt:

,Gott von Israel, ich bin hierher geflohen, um dir ungestört dienen zu können, um deine Gebote zu erfüllen und deinen Namen zu heiligen. Du aber hast alles getan, damit ich nicht an dich glaube. Solltest du meinen, es wird dir gelingen, mich von meinem Weg abzubringen, so sage ich dir, mein Gott und Gott meiner Väter: Es wird dir nicht gelingen. Du kannst mich schlagen, mir das Beste und Teuerste nehmen, das ich auf der Welt habe. Du kannst mich zu Tode peinigen – ich werde immer an dich glauben. Ich werde dich immer lieben dir selbst zum Trotz!'”

Und der Jude fuhr fort: “Und das sind meine letzten Worte an dich, mein zorniger Gott: Es wird dir nicht gelingen! Du hast alles getan, damit ich nicht an dich glaube, damit ich an dir verzweifle! Ich aber sterbe, wie ich gelebt habe, im felsenfesten Glauben an dich.

Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einig und einzig!”

Diese Form von Glauben wünsche ich mir jeden Tag mehr, Glauben, Vertrauen trotz aller Widerstände als Widerstand gegen alles, was uns in die Finsternis hinauswerfen will. Ich denke, es ist der Glaube, der auch Jesus selbst in der letzten Phase seines Lebens getragen hat, schließlich war er neben allem anderen auch ein frommer Jude!

Aber schön, dass Jesus sehr unterschiedliche Formen von Glauben anerkennt!

Ich wünsche Erfahrungen der Stärkung, in welcher Form auch immer!

Ihr/Euer Pastor Schnoor