Liebe Leserinnen und Leser
Nach wieder einer Woche „Urlaub“, in der mit Aschermittwoch die Passionszeit begonnen hat, bin ich wieder im Dienst in dieser Woche nach Invocavit (er/sie hat mich (an-)gerufen!), dem ersten Passionssonntag, an dem das Thema „Versuchung“ in den biblischen Texten im Zentrum steht.
In der Alttestamentlichen Lesung geht es um die bekannte Geschichte von Adam und Eva, der Schlange und dem verbotenen Obst und weswegen wir eben nicht im Paradies leben, sondern in den Rahmenbedingungen, die wir nun einmal vorfinden. Eine zweite Geschichte hat Goethe aus der Bibel für seinen „Faust“ entlehnt, der Prolog („Einleitung“) im Himmel, wo der Satan mit Gott eine Wette abschließt, dass der fromme Hiob nur deshalb so fromm ist, weil es ihm so gut geht, und er ganz schnell seinen Glauben aufgeben würde, wenn ihm Negatives widerführe. Hiob tut das nicht, selbst als Kranker, der alles verloren hat, bleibt er auf Gott bezogen, aber er klagt Gott auch an, weil er sich keiner Schuld für sein Unrecht bewusst wäre.
Die Evangeliumslesung für den Sonntag Invocavit und diese Woche ist auch eine Versuchungsgeschichte, nämlich die Versuchung Jesu im 4. Kapitel des Matthäus-Evangeliums.
Das für mich immer wieder Spannende dieser Geschichte ist, dass sie genau auf die Geschichte der Taufe Jesu folgt. Da lässt sich Jesus taufen, und der Himmel öffnet sich und Gottes Geist kommt wie eine Taufe auf Jesus herab und ihm wird verkündet: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!“
Stellt Euch doch mal vor, Ihr würdet in dieser Weise herausgehoben: „Das ist die/der Eine, die/der Geliebte, Auserwählte usw.! Was wäre Eure Reaktion auf so eine Erfahrung?
Bei Jesus ist es die Klärung der Frage: „Was für eine Art Sohn Gottes will ich eigentlich sein? Was heißt das für mich Sohn/Tochter Gottes zu sein?“ Und genau darum geht es dann in der folgenden Geschichte (Matthäus 4, 1-11)
Danach wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt. Dort sollte er vom Teufel auf die Probe gestellt werden.
Jesus fastete 40 Tage und 40 Nächte lang. Dann war er sehr hungrig.
Da kam der Versucher und sagte zu ihm: »Wenn du der Sohn Gottes bist, befiehl doch, dass die Steine hier zu Brot werden!« Jesus aber antwortete: »In der Heiligen Schrift steht: ›Der Mensch lebt nicht nur von Brot. Nein, vielmehr lebt er von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt.‹«
Dann nahm ihn der Teufel mit in die Heilige Stadt. Er stellte ihn auf den höchsten Punkt des Tempels und sagte zu ihm: »Wenn du der Sohn Gottes bist, spring hinunter! Denn in der Heiligen Schrift steht: ›Er wird seinen Engeln befehlen: Auf ihren Händen sollen sie dich tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.‹«
Jesus antwortete: »Es steht aber auch in der Heiligen Schrift: ›Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen!‹«
Wieder nahm ihn der Teufel mit sich, dieses Mal auf einen sehr hohen Berg. Er zeigte ihm alle Königreiche der Welt in ihrer ganzen Herrlichkeit. Er sagte zu ihm: »Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest!« Da sagte Jesus zu ihm: »Weg mit dir, Satan! Denn in der Heiligen Schrift steht: ›Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihn allein verehren!‹«
Daraufhin verließ ihn der Teufel. Und es kamen Engel und sorgten für ihn.
Es geht in allen drei Fällen um die Frage, was für eine Art „Sohn Gottes“ Jesus eigentlich sein will. Bei der ersten Versuchung steht das Modell „Römischer Kaiser“ im Hintergrund, denn der Kaiser – und viele nach ihm – erhalten ihre Macht durch BROT (und Spiele!) Sie geben dem Volk das Lebensnotwendige (und das, was es von den wirklichen Problemen ablenkt und ruhig hält) und kontrolliert es damit. Denn man kann die Brotzufuhr ja auch einstellen, wenn die Leute nicht so wollen wie sie sollen. Mit Gas kann man das auch probieren!
So ein „Sohn Gottes“ will Jesus nicht sein. Er sieht, Menschen brauchen Sinn und Ansprache („Wort Gottes“) und nicht nur Materielles, sie brauchen Leben und nicht nur Überleben!
Die zweite Versuchung ist die des religiösen Fanatikers, der einzelne Verse der Heiligen Schriften wörtlich nimmt. Der Teufel zitiert Psalm 91,11+12 einen der beliebtesten Taufsprüche auch heute. Aber er zitiert diesen Vers so: Gott hat gesagt: Dir kann nichts passieren, also kannst du einfach in die Tiefe springen! Jesus stellt das biblische Wort in den Zusammenhang. Es ist ein Zuspruch Gottes in schwerer Zeit, um Menschen Vertrauen und Hoffnung zu geben. Eine Verheißung überprüfen zu wollen, indem man etwas völlig Dummes tut, ist aber gerade kein Vertrauen, sondern Ausdruck von Misstrauen. Ich traue Gott nicht wirklich, also muss ich das überprüfen! Jesus ist „Sohn Gottes“, der Gottes Willen folgt und nicht eigene Vorstellungen als absolut durchdrücken will.
Und schließlich die Versuchung von Macht und Reichtum. Sehr beliebt bis heute bei Machthabern aller Art bis hin zu Wladimir Putin. Der Preis dafür ist allerdings, den Teufel anzubeten, also Macht- und Gewaltstrukturen dieser Welt. Jesus antwortet: ›Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihn allein verehren!‹«
Er wird ein Sohn Gottes sein, der ganz im Vertrauen auf Gott lebt, den er „Papi“ nennt (Abba!), und er bleibt dem treu, was er als Gottes Willen aus der Bibel erkannt hat, selbst als ihn das sein Leben kosten wird, weil die Mächtigen der Welt es nicht ertragen, sich auf Liebe als Grundprinzip, Gewaltfreiheit und die Beseitigung des traditionelle „Oben und Unten“ einzulassen. „Söhne Gottes“ der 3 Versuchungen hat es viele gegeben. Sie alle sind irgendwann an irgendetwas gescheitert. Jesu Weg ging durch das Scheitern hindurch in die Auferstehung, den Neubeginn, denn ihm ging es nie um die eigene Macht, sondern um die Menschen, denen er begegnete. Und das drückt eine Geschichte sehr schön aus, die zwar nicht in der Bibel steht, aber gut in die Versuchungsgeschichte passen würde:
Und der Teufel kam ein viertes Mal zu Jesus. Um ihn zu versuchen, führte er eine wunderschöne Frau mit sich, strahlend wie ein Engel und glühend wie ein Teufel, kühn wie eine Königin und demütig wie eine Sklavin. Und er sprach zu ihm: “Nimm sie, und sie wird dir alle Wonnen der Erde schenken. Denn es steht geschrieben: ,Ihre Flammen sind wie die Flammen des Herrn, und ihre Leidenschaft ist stark wie die Hölle.'”
Und Jesus nahm sie bei der Hand und spürte die Warme eines Menschen. Er blickte ihr in die Augen und sprach zu ihr: “Du bist kein Engel und kein Teufel. Du bist ein Mensch, von Gott geformt wie ich. Denn es steht geschrieben: ,Als Mann und Frau schuf er sie.’ Du wirst so, wie du bist, den Menschen wohltun.”
Da schrie der Teufel auf, und der Glanz auf ihrer Stirne und das Flackern in ihren Augen erloschen, und vor Jesus stand eine Frau, die ihn frei und dankbar anschaute.
Da verließ sie der Teufel, und sie gingen miteinander zu den Menschen zurück.
Euch und Ihnen eine gesegnete Woche und einen guten Umgang mit den kleinen und größeren „Versuchungen“ des Lebens und der Passionszeit
Ihr/Euer Pastor Schnoor