Liebe Leserinnen und Leser
Am vergangenen Sonntag war der Anfang der Bibel Predigttext, der erste Schöpfungsbericht aus 1. Mose 1,1 – 2,4a. Na ja, nicht ganz, das wäre für eine Predigt zu viel, sondern der Rahmen. Gott sprach, Gott sah, es war gut, sehr gut sogar, dass es Ordnung gibt, Zeit und Raum, Erde und Wasser, Sonne, Mond und Sterne, Pflanzen, Tiere, Menschen und auch den 7. Tag, den Sabbath, an dem Gott von allen seinen Werke ruhte als eigentliche „Krone der Schöpfung“, für die sich oft der Mensch hält, der seine Bibel an dieser Stelle nicht genau gelesen hat!
Am Sonntag war der Gedanke vom Anfang der Geschichte im Zentrum, dem laut Hermann Hesse ja ein Zauber innewohnt! Und das gilt vor allem, wenn man nicht den Fehler macht, die Schöpfungsgeschichte auf der Ebene der Naturwissenschaften zu betrachten und dann als „Kinderkram“ oder „Märchen“ abzutun. Die Schöpfungsgeschichte antwortet weniger auf die Frage, wie genau Gott das alles geschaffen hat, sondern dass Gott durch das Wort (Es werde und es wurde!) Ordnung ins Chaos bringt und sich nach und nach so ein Lebensraum ausdifferenziert, in dem alles Leben seinen Platz und seinen ganz eigenen Wert hat. Und das ist nicht irgendwann viel-viel-früher passiert, sondern es passiert seitdem es Raum und Zeit gibt, auch heute noch und solang es Leben gibt und Raum und Zeit. Schöpfung ist nicht abgeschlossen, sondern ist ein fortdauernder Prozess („Creatio continua“). Die Geschichte des guten Anfangs ist auch unsere Geschichte, jeden Tag aufs Neue! Und genau aus diesem Schöpfungsgedanken ist in der abendländischen Philosophie und Theologie der Gedanke der universellen Menschenrechte in einem langen Prozess entwickelt und abgeleitet worden, und der eigentliche Knackpunkt sind folgende Verse der Schöpfungsgeschichte: Gott sprach: »Lasst uns Menschen machen – unser Ebenbild, uns gleich sollen sie sein! Sie sollen herrschen über die Fische im Meer und die Vögel am Himmel, über das Vieh und die ganze Erde, und über alle Kriechtiere auf dem Boden.« Gott schuf den Menschen nach seinem Bild. Als Gottes Ebenbild schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie.“
Das heißt nicht weniger als: in jedem Menschen steckt etwas von Gott drin. Bei jedem, der uns über den Weg läuft, haben wir nicht irgendeinen Dahergelaufenen vor uns, es handelt sich immer um ein göttliches Modell.
Aber zu einfach ist das auch nicht zu sehen, denn Mann und Frau zusammen sind Ebenbild Gottes, nicht nur eines der Geschlechter allein; jung und alt sind Ebenbild Gottes und schwarz, weiß, rot gelb, braun oder welche Hautfarbe auch immer zur Auswahl steht! Und dick und dünn und groß und eher kurz. Wir sollten also nicht das Schönheitsideal unserer Gesellschaft und Kultur mit den Vorstellungen Gottes verwechseln.
Vielleicht ist mit Ebenbild noch etwas Anderes gemeint und betrifft die Art und Weise unseres gelebten Miteinanders, die nicht nur unsere persönliche innere Angelegenheit ist, weil Gott immer mitten drin und dabei ist, in uns und bei dem Anderen wohnt. Darum ist jede Gewalt und jede Missachtung nicht nur etwas, was wir einander antun, sondern immer auch etwas, was wir Gott antun. Und wie leicht das passieren kann, zeigt jeder Streit, zeigt jedes herablassende Wort und jeder herablassende Gedanke. Aber auch das Andere gilt: Wenn man freundlich hinüberlächelt, kann es sogar sein, dass es sich für einen Moment scheu zeigt, es huscht wie ein schnelles Leuchten übers Gesicht des Gegenübers und sieht wirklich göttlich aus. Wir können uns tatsächlich so liebevoll anschauen, dass es ein Leichtes ist, an Gott zu glauben. Den Lebenshauch mit Güte im Blick.
Und da gehören natürlich auch die Fehler und Macken dazu, die Handicaps und Defizite.
Nicht nur die Schönheit ist Gottes Fingerabdruck. Auch die weniger ansehnlichen Seiten unseres Lebens gehören dazu. Gott versetzt sich auch dann in unsere Lage, wenn er nicht nur unversehrt und heil ist, sondern Schmerzen hat und verwundet wird. Darum versteht er uns so gut, darum weiß er Bescheid, darum ist er ganz nah und ganz bei uns. Wer es glaubt, wird selig und lernt Jesus kennen, der tatsächlich in unsere Haut schlüpft und unser Leben lebt, damit er alles mit uns teilen kann. Das ist Gottes Plan. Das ist das Bild, das er von uns hat. Gottes Kinder sehen genauso aus.
Und mal wieder eine Geschichte zum Schluss, die für mich auf den Punkt bringt, was „Ebenbild Gottes wirklich heißen könnte, auch wenn es als Märchen beginnt: „Es war einmal ein kleiner Junge, der unbedingt Gott treffen wollte. Er war sich darüber bewusst, dass der Weg zu dem Ort, an dem Gott lebte, ein sehr langer war. Also packte er sich einen Rucksack voll mit einigen Cola-Dosen und mehreren Schokoriegeln und machte sich auf die Reise. Er lief eine ganze Weile und kam in einen kleinen Park. Dort sah er eine alte Frau, die auf einer Bank saß und den Tauben zuschaute, die vor ihr nach Futter auf dem Boden suchten. Der kleine Junge setzte sich zu der Frau auf die Bank und öffnete seinen Rucksack. Er wollte sich gerade eine Cola herausholen, als er den hungrigen Blick der alten Frau sah. Also griff er zu einem Schokoriegel und reichte ihn der Frau. Dankbar nahm sie die Süßigkeit und lächelte ihn an. Und es war ein wundervolles Lächeln. Der kleine Junge wollte dieses Lächeln noch einmal sehen und bot ihr auch noch eine Cola an. Und sie nahm die Cola und lächelte wieder – noch strahlender als zuvor. Der kleine Junge war selig. Die beiden saßen den ganzen Nachmittag lang auf der Bank im Park, aßen Schokoriegel und tranken Cola, aber sprechen kein Wort. Als es dunkel wurde, spürte der Junge, wie müde er war und beschloss, zurück nach Hause zu gehen. Nach einigen Schritten hielt er inne und drehte sich um. Er ging zurück zu der Frau und umarmte sie. Die alte Frau schenkte ihm dafür ihr allerschönstes Lächeln. Zu Hause sah seine Mutter die Freude auf seinem Gesicht und fragte: »Was hast du denn heute Schönes gemacht, dass du so fröhlich aussiehst?« Und der kleine Junge antwortete: »Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen – und sie hat ein wundervolles Lächeln!« Auch die alte Frau war nach Hause gegangen, wo ihr Sohn schon auf sie wartete. Auch er fragte sie, warum sie so fröhlich aussah. Und sie antwortete: »Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen – und er ist viel jünger, als ich gedacht habe.«
Ich merke bei mir immer wieder – so weit bin ich sehr oft nicht, das Ebenbild Gottes in dem Menschen wahrzunehmen, der mich gerade ärgert, erzürnt, langweilt oder richtig „auf die Palme bringt“. Es bleibt viel zu entdecken und viel zu tun – und der Tag heute ist noch nicht zu Ende und morgen beginnt ein ganz neuer Tag! Schöpfung geht weiter und Ihr und Sie und ich, wir dürfen Teil davon sein und die Ebenbildlichkeit immer wieder neu entdecken!
Ihr/Euer Pastor Schnoor