Liebe Leserinnen und Leser
Am vergangenen Sonntag war ein Buch der Bibel Thema, das alle diejenigen kennen werden, die früher in Kinderbibeln gelesen haben oder zum Kindergottesdienst gegangen sind – und einige andere auch: Die Geschichte des Propheten Jona – der mit dem Wal/großen Fisch!
Nachdem vor ein paar Jahren die Predigttexte überarbeitet worden sind, ist dieses kleine Buch der jüdischen Bibel in seinen Einzelteilen Thema mehrerer Predigttexte zu verschiedenen Sonntagen geworden. Am vergangenen Sonntag war das dritte Kapitel dran. Aber da die Anzahl der Gottesdienstteilnehmer:*Innen durchaus recht überschaubar war, erzähle ich Ihnen und Euch die Geschichte in dieser Wochenandacht in Kurzfassung. Vielleicht geht es Ihnen/Euch wie mir als Neuentdeckung: Das Jona-Buch ist nicht nur für Kinder! Fangen wir doch einfach am Ende an:
Jona schmollt. So hat er sich das nicht vorgestellt. Alle Mühe, alles Tun vergeblich. Jetzt sitzt er unter der abgestorbenen Staude und schmollt. Und er hadert mit Gott. Eigentlich will er auch gar nicht mehr leben. Ist ja sowieso alles umsonst, was er getan hat. Und dann auch noch Gott, der ihn belehrt. Er lässt ihn nicht mal schmollen. Stattdessen macht Gott ihm deutlich, dass er nichts verstanden hat.
Doch der Reihe nach: Am Anfang beruft Gott Jona zum Propheten. Jona soll als Gottes Botschafter nach Ninive gehen. Er soll gegen die Stadt predigen; ihr den Untergang ansagen, weil sie voll von Bosheit ist – konkreter wird es allerdings nicht. Jona aber denkt nicht daran, diesen Auftrag auszuführen. Er flieht vor Gottes Berufung. Geht auf ein Schiff und verschwindet, wie er meint, auf dem Meer. Als ein Sturm das Schiff beinahe zum Kentern bringt, beschließen die Seeleute, dass Jona daran schuld sein müsse. Sie werfen ihn kurzerhand ins Meer. Und siehe da: Sofort ist die See ruhig.
Jona aber, statt zu ertrinken, wird von einem Fisch verschluckt. Der Fisch bringt Jona an Land und spuckt ihn aus. Kaum hat er wieder trockenen Boden unter den Füßen, vernimmt er die Stimme Gottes erneut mit noch einmal genau dem gleichen Auftrag. Und dieses Mal geht Jona und seine Predigt ist erfolgreich. Vierzig Tage noch, so verkündigt er den Menschen in Ninive, dann wird die Stadt untergehen. So ist es Gottes Plan. Das gibt Jona den Plan an die Leute weiter. Es braucht nur einen Tag, da ist die ganze Stadt in heller Aufregung. Jonas Botschaft verbreitet sich wie ein Lauffeuer und beeindruckt die Leute von Ninive. Sie haben Angst um ihre Stadt und um ihr Leben. Sie sehen plötzlich mit anderen Augen, was sie tagein, tagaus getan haben. Sie hinterfragen das Gewohnte und nehmen die kommende Katastrophe ernst und versuchen, sie abzuwenden. Sie tun das, was man damals tat, um himmlische Mächte gnädig zu stimmen: Man ruft zur Buße auf. Um deutlich zu machen, wie ernst es ihnen damit ist, sollen alle sich in Säcke kleiden. Groß und Klein, ja sogar die Tiere sollen fasten – so ordnet es der König an. „Und ein jeder bekehre sich von seinem bösen Wege und vom Frevel seiner Hände“, ruft der König seine Untertanen auf und fügt hinzu (Jona 3,8f): „Wer weiß? Vielleicht lässt Gott es sich gereuen und wendet sich ab von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben.“
Der König von Ninive behält recht. Gott lässt sich von der Umkehr der Leute beeindrucken und von dem, was sie verändern. Er lässt sich beeindrucken von ihrem Sinneswandel, von ihrer neuen Art zu handeln. „Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie sich bekehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht.“
In der Geschichte über das Schicksal des Propheten Jona kommt zusammen, was sich in vielen Texten der Bibel nicht trennen lässt. Es ist ein Ineinanderfließen von Gericht, Umkehr und Gnade. Zuerst die Feststellung: Hier ist nichts mehr in Ordnung. Das Leben der Menschen ist aus den Fugen geraten. Statt rücksichtsvoll miteinander umzugehen, herrscht blanker Egoismus. Die Menschen reden sich ihr korruptes Handeln schön und schämen sich nicht einmal mehr dafür. Und der Glaube? Er hat sich schon lange verabschiedet aus dem Leben der Menschen. Einige wenige Gottesfürchtige gibt es zwar noch. Aber sie sind kaum noch der Rede wert. Und dann lässt Gott ankündigen: Dieses Verhalten führt in die Katastrophe.
Die Ankündigung einer drohenden Katastrophe als Beschluss Gottes und die Umkehr der Menschen: Beides gehört zusammen. Immer wieder berichtet die Bibel von genau diesem Zusammenhang. Immer wieder legt Gott durch die von ihm berufenen Propheten seine Finger in die Wunde der gesellschaftlichen Verhältnisse. Immer wieder lässt er die Menschen durch seine Botschaft aufrütteln. Manchmal ohne Erfolg und manchmal mit.
Ist die Predigt der Propheten erfolgreich, dann kommt die Gnade als Drittes hinzu. Gott sieht, wie die Menschen sich verändern. Er sieht, wie sie ihr Leben und ihr Miteinander in Ordnung bringen, und er gibt ihnen eine neue Chance. Vielleicht war das eigentliche Ziel der Ankündigung des Gerichts ja auch nur, die Augen zu öffnen, eine Chance zu eröffnen. Könnte man die großen Probleme heute so sehen, etwa die Corona-Pandemie? Oder sehen, wie sehr wir in den vergangenen Jahrzehnten leichtfertig gelebt haben angesichts dessen, was da in Ostereuropa passiert und wie wenig wir auf so etwas vorbereitet waren? Von der drohenden Klimakatastrophe gar nicht zu sprechen! Und solches Denken gehört auch keineswegs nur in den Teil der Bibel, den wir Altes Testament nennen. Auch bei Jesus steht ein Aufruf am Anfang seines Wirkens:
Die Menschen sollen am Geschehen des Reiches Gottes teilnehmen – und zwar durch Umkehr. „Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15). Er fordert auf, sich zu entscheiden: Entweder ihr macht so weiter wie bisher, dann zeigt ihr damit: Wir stehen nicht auf der Seite Gottes. Oder ihr nehmt die Botschaft, die Einladung an und werdet zu neuen Menschen. Zu Menschen, die leben, wie Gott es sich wünscht und wie er Menschen gemeint hat. Die Umkehr gehört zur Botschaft der Liebe Gottes. Wer umkehrt, hat erkannt: Das Urteil über mein Leben habe ich mit meiner Umkehr bereits gesprochen. Deshalb kehre ich ja um, weil ich weiß: Der bisher eingeschlagene Weg war falsch. Gericht, Umkehr und Gnade: Auch in der Botschaft Jesu fließen sie zusammen. Leicht fällt diese Synthese aber keineswegs in der Praxis!
Und so sitzt Jona am Ende unter einer verdorrten Staude und schmollt. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn seine Predigt in anderer Weise gewirkt hätte. Vielleicht hat es ihm sogar gefallen, in Ninive Angst und Schrecken zu verbreiten. Vielleicht hatte er sich schon heimlich auf den Untergang von Ninive gefreut. Nun fühlt er sich von Gott um seinen Erfolg gebracht und muss einsehen: Gott freut sich über Umkehr und Einsicht und darüber, gnädig sein zu können. Gott hat kein Faible für Katastrophen, sondern will das Leben.
Ich finde es wunderbar, dass das Jona-Buch mit einer Frage Gottes an den schmollenden Propheten und damit gleichzeitig an die Leser:*Innen endet:
Da sagte der HERR: »Die Rizinus-Pflanze tut dir leid. Doch du hast keine Mühe mit ihr gehabt und sie auch nicht großgezogen. Sie wuchs über Nacht und verdarb über Nacht. Und jetzt frage ich dich: Sollte Ninive mir nicht leidtun – eine große Stadt mit mehr als 120.000 Menschen? Sie alle wissen nicht, was links und was rechts ist. Dazu kommen noch die vielen Tiere. Sollte es mir da nicht leidtun?« Lernprozess nicht nur für Jona!
Ich wünsche Ihnen und Euch gesegneten Beginn der Ferienzeit und erholsamen Urlaub
Ihr/Euer Pastor Schnoor