Liebe Leserinnen und Leser

Wir haben Sommerferien und damit haben wir auch „Sommerkirche“, d.h. an den 6 Sonntagen der Ferien findet jeweils in einer unserer 6 Kirchen ein Gottesdienst für die ganze Gemeinde statt. So hatte ich am 10. Juli statt eines Predigtgottesdienstes eine Taufe. Ich liebe Taufen, aber etwas bedauert habe ich es schon, dass ich nicht über den Predigttext des Sonntags predigen konnte, denn ich mag diese Geschichte sehr. Aber es gib ja noch die Wochenandacht! Also heute „Jesus und die Ehebrecherin“ (Johannes 8, 1-11) und warum ich diese Geschichte so mag! Zunächst aber die Geschichte selbst, kann ja sein, dass sie dem Einen oder der Anderen gerade etwas inhaltlich entfallen ist:

Jesus aber ging hinauf zum Ölberg. Früh am Morgen kehrte er zum Tempel zurück. Das ganze Volk kam zu ihm. Er setzte sich und lehrte sie.

Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau herbei, die beim Ehebruch überrascht worden war. Sie stellten sie in die Mitte und sagten zu Jesus: »Lehrer, diese Frau da wurde auf frischer Tat beim Ehebruch überrascht. Im Gesetz schreibt uns Mose vor, solche Frauen zu steinigen. Was sagst nun du dazu?« Das fragten sie, um ihn auf die Probe zu stellen und dann anklagen zu können.

Aber Jesus beugte sich nur nach vorn und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie nicht aufhörten zu fragen, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: »Wer von euch ohne Schuld ist, soll den ersten Stein auf sie werfen!«

Dann beugte er sich wieder nach vorn und schrieb auf die Erde. Als sie das hörten, ging einer nach dem anderen fort, die Älteren zuerst.

Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die immer noch dort stand.  Er richtete sich auf und fragte: »Frau, wo sind sie? Hat dich niemand verurteilt?« Sie antwortete: »Niemand, Herr.« Da sagte Jesus: »Ich verurteile dich auch nicht. Geh, und lad von jetzt an keine Schuld mehr auf dich.«

Warum ich diese Geschichte mag? Nun sie ist 2000 Jahre alt, aber kommt mir in manchem gleichzeitig unglaublich zeitgenössisch-modern vor. Vielleicht ist sie aber auch nur zeitlos, und wir Menschen haben uns weniger verändert, als wir denken.

Was hier abläuft ist eine „uneigentliche“ Kommunikation. Es wird so getan, als ginge es um eine konkrete religiös-moralisch-gesetzliche Frage: „Diese Frau ist beim Ehebruch ertappt worden. Darauf steht Todesstrafe durch Steinigung! Was sagst Du dazu?“ Der biblische Text betont es, aber auch aus der Geschichte selbst wird deutlich: Es ist eine Fangfrage, die Jesus gestellt wird. Es geht gar nicht um die Frau, sondern darum, den Gegner in eine aussichtslose Position zu drängen.

Würde Jesus sagen, „die Liebe Gottes gilt allen Menschen, auch denen, die Gebote übertreten haben!“, also nicht steinigen, würde er sich gegen das Gesetz stellen, also gegen Gott, der das Gesetz ja gegeben hat und völlig aus dem jüdischen Zusammenhang herausfallen. Kein Jude der damaligen Zeit würde so argumentieren.

Würde Jesus aber sagen: „Ihr habt doch schon gesagt, wie die Rechtslage ist. Damit ist alles gesagt, die Frau ist zu steinigen!“, dann hätte er seine gute Botschaft von der vergebenden Liebe Gottes verraten.

Jesus sitzt also in der Zwickmühle. Beide Lösungen gehen nicht, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Und was tut er? Er scheint erst einmal auf Zeit zu spielen und schreibt etwas in den Sand. Jesus versucht also auszuweichen – oder doch nicht? Es würde mich sehr interessieren, zu wissen, was er da eigentlich in den Sand geschrieben hat. Aber davon spricht die Geschichte nicht. Sie erzählt weiter, dass seine Gegner ihn mit seinem Ausweichen nicht davonkommen lassen wollen. Sie bohren nach: Nun sag schon, wie siehst du den Fall?

Und dann kommt eine Antwort, mit der damals niemand gerechnet hat: Jesus akzeptiert, dass nach dem geltenden Gesetz die Todesstrafe durch Steinigung die rechtlich angemessene Strafe ist. Und zugleich stellt er eine Regel für die Durchführung der Strafe auf, die fromme und ehrenwerte Juden nicht erfüllen können: „Den ersten Stein soll derjenige werfen, der sich gegenüber Gott, seinen Mitmenschen und dem Gesetz absolut nichts, nicht einmal das kleinste Vergehen vorzuwerfen hat, mit anderen Worten derjenige, der perfekt ist.“ Seine Zuhörer damals haben diese Messlatte sehr wohl verstanden mit dem Ergebnis: Sie gehen weg, keiner wirft den ersten Stein, weil sie alle die Voraussetzung nicht erfüllen und das auch selbst wissen.

Jesus blickt auf, er hatte weitergeschrieben – was wohl? – und wendet sich nun direkt an die Frau und fragt: Hat dich keiner verurteilt? Nein, keiner! Und dann die abschließende Vergebung: Ich verurteile dich auch nicht! Zusammen mit der Aufforderung, keine Schuld mehr auf sich zu laden. Also kein „alles nicht so schlimm und Schwamm drüber!“, sondern trotz dessen, was verkehrt war die Eröffnung von Leben und Zukunft. Und ich habe eine Geschichte gefunden, die ähnlich ist, in der das Verhältnis von Liebe und Schuld aber noch deutlicher wird:

Das Netz des Fischers

In einem Fischerdorf ist es ungeschriebenes Gesetz, dass eine Frau, die beim Ehebruch ertappt wird, von einem hohen Felsen gestürzt werden muss. Wieder einmal verurteilen die Ältesten des Dorfes eine Frau, die mit einem Matrosen die Ehe gebrochen hat. Doch in der Nacht steigt der betrogene Ehemann in die Felswand und spannt ein Netz aus starken Seilen über den Abgrund, das er mit Gras, Stroh und Kissen ausstopft. Am anderen Morgen wird das Urteil vollstreckt, aber die Frau stürzt in das Netz der Liebe ihres Mannes. In ihrer Unentschlossenheit rufen die Dorfbewohner die Markgräfin an, die der Frau ihr eigenes Haarnetz schenkt zum Zeichen dafür, dass die Liebe des Fischers ihre Schuld aufgefangen hat.

Ich bin Ihnen und Euch noch die Antwort schuldig, was genau ich an der Jesus-Geschichte so mag. Nun, dass sie uns Heutigen einen Spiegel vorhält, an welchem Punkt wir oft anders sind als die Gegner Jesu damals. Bei uns ist zwar die Steinigung auf dem Marktplatz aus der Mode gekommen, aber dafür gibt es immer noch die gesellschaftliche Ächtung und den „Shitstorm“ im Internet, wo sich dann die „Guten“ darüber empören, wenn irgendjemand etwas in ihren Augen Verwerfliches getan hat. Und das geht sehr schnell bis hin zu Mordphantasien und Aussagen, dass so jemand kein Recht habe, zu leben.

Interessant, wie wenig sich solche Vorstellungen seit den Zeiten des Steinigens verändert haben! Aber haben diese „Guten“ heute noch die gleiche Selbsterkenntnis, dass auch sie selbst nicht vollkommen und perfekt sind? Die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin hält uns genau hier den Spiegel vor, stellt Jesu Frage an uns, an mich! Genau darum mag ich sie so!

Ich wünsche Ihnen und Euch gesegnete Sommerzeit ohne Steinewerfen und Shitstorm!

Ihr/Euer Pastor Schnoor