Liebe Leserinnen und Leser

Zunächst einmal muss ich mich für die vergangene Woche entschuldigen, in der es keine Wochenandacht gab. Ich habe es schlicht nicht geschafft, eine zu schreiben, weil die erste Arbeitswoche nach meinem kurzen Urlaub zu voll war.

Und so war diese Woche gewissermaßen eine praktische Interpretation des Bibelwortes, über das ich in der letzten Woche eigentlich auch schreiben wollte, dem Wochenspruch aus Lukas 12,48b: „Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen, und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.“

Eigentlich muss man über diesen Vers ja nicht viel schreiben, denn so ist er, der Vers ist quasi selbsterklärend: An Menschen, die bewiesen haben, dass sie etwas können, dass sie kompetent sind, mit denen man immer wieder gute Erfahrungen gemacht hat, an solche Menschen trägt man höhere Erwartungen heran. Das ist so, und grundsätzlich ist das völlig in Ordnung. Andere haben eine Erwartungshaltung an mich, und ich selbst auch. Und wenn ich diese Erwartungshaltung erfüllt oder mehr als erfüllt sehe, dann bin ich zufrieden. Wenn ich meine Erwartung aber nicht erfüllt sehe, dann setzt Enttäuschung ein. Auch das ist so und ist in Ordnung bei mir oder anderen.

Aber im Laufe der Zeit schleichen sich zumindest manchmal ein paar Probleme ein:

Problem Nummer 1: Wenn ein Mensch über längere Zeit immer wieder meine Erwartungen erfüllt oder übererfüllt hat, laufe ich Gefahr, dieses irgendwann als Selbstverständlichkeit anzusehen. Dann nehme ich möglicherweise gar nicht mehr wahr, dass diese Ergebnisse keineswegs selbstverständlich sind. Ich habe mich daran gewöhnt, das Gute wird zum Normalen. Daraus kann dann: Problem Nummer 2 erwachsen: Normales muss nicht extra erwähnt werden, manchmal läuft es auch nach dem Grundsatz „Nicht gemeckert ist genug gelobt!“

Ich hatte beispielsweise am Wochenende nach meinem Urlaub die Endredaktion des neuen Gemeindebriefes abgeschlossen. Ich war eigentlich zufrieden damit, aber, nachdem er aus dem Druck kam, erfuhr ich als Reaktion die Kritik, dass ich die Ankündigung vergessen hatte, dass wir für die Adventszeit wieder „Gastgeber:Innen“ für den „Lebendigen Advent“ suchen. Als nächstes kam der Hinweis, dass ich an einer Stelle einen Fehler beim Namen eines neuen Mitarbeiters gemacht hätte (das ist bei meinem schlechten Namensgedächtnis eine ewige Gefahrenquelle für meine Arbeit!). Soweit das Feedback für die insgesamt rund 20 Stunden, die ich an dem Gemeindebrief saß,

Will ich damit jetzt deutlich machen, dass ich gefälligst über den grünen Klee gelobt werden will? Nein, sondern dass ich merke, es untergräbt meine eigene Motivation für meine Arbeit, wenn etwa die einzige Reaktion auf einen Gottesdienst darin besteht, dass mir jemand nach dem Gottesdienst sagt, ich hätte zu leise gesprochen! Ich weiß, dass ich dazu neige, leiser zu sprechen als manche Kollegen, bzw. leiser zu werden, weil ich mir am Anfang noch bewusst mache, dass ich lauter sprechen soll, als ich das normalerweise tue, dies während der Predigt dann aber häufiger vergesse. Mein Problem ist, ich selbst verstehe mich ja durchgängig! Und ich weiß nicht, was jemand anderes hört und was nicht! Ich sage deshalb oft: Sagt mir doch bitte während des Gottesdienstes, wenn ich zu leise werde! Denn dann kann ich etwas daran ändern, es zumindest versuchen. Nach dem Gottesdienst ist es zu spät, und beim nächsten Mal weiß ich wieder nicht, ab wann ich nicht mehr verstanden werde! Ich ertappe mich dabei, dass es mich ärgert, wenn mir keine Chance zur Korrektur gegeben wird. Umgekehrt fand es wirklich gut, als mir drei Herren nach einem Grußwort, das ich gehalten hatte, mitteilten, dass sie damit gar nicht einverstanden gewesen seien. Wir haben uns zusammengesetzt, ich erfuhr, was sie zu kritisieren hatten, ich konnte darlegen, wie ich diese Passage gemeint hatte, und wir stellten fest, dass die Unstimmigkeit zum überwiegenden Teil auf einem Missverständnis beruht hatte. Danke für diese Offenheit!

„Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen, und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.“ Das ist so, aber damit man auf Dauer mit dem, was man sucht, auch fündig wird, hilft es, möglicherweise eine Verhaltensweise vieler US-Amerikaner zur Kenntnis zu nehmen, die – bevor sie zu einer Kritik ansetzen – erst einmal etwas Positives sagen. Wir Deutschen neigen häufiger dazu, gleich mit dem Kritischen zu beginnen und werden deshalb von Menschen anderer Nationalität leicht als unhöflich betrachtet. Lob ist ein soziales „Schmiermittel“, um die Motivation, sich anzustrengen, hochzuhalten! Aber um die Motivation zu behalten ist es auch wichtig, dass ich die positiven Reaktionen nicht überhöre, weil ich sonst dem Negativen zu viel Raum einräume und manchmal an den Punkt komme, an dem ich sage: Es hat ja sowieso keinen Sinn, sich anzustrengen! Das ist dann der Punkt, an dem ich zweifle, ob ich überhaupt noch sinnvolle Arbeit tue, wenn ich es nicht einmal mehr schaffe, die eigentlich versprochene Wochenandacht zu schreiben. Womit ich bei einem meiner Gefühle in der letzten Woche bin und warum ich den Vers „Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen, und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.“ nun von einer anderen Seite betrachtet habe.

Und bevor Sie und Ihr jetzt vielleicht denkt, ich würde gerade vor Selbstmitleid zerfließen, kann in wieder „Entwarnung“ geben. Freundliche Menschen und ein Text des katholischen Theologen Fulbert Steffensky haben mich inzwischen wieder aufgebaut:

An einer strömungsreichen Stelle irgendwo am Meer fand ich ein Schild, das Schwimmer warnt und ihnen empfiehlt, für den Fall, dass eine Strömung sie erfasst, sich nicht gegen den Sog zu wehren. Die Strömung führe wieder zurück. Man solle seine Kräfte nicht sinnlos verbrauchen, sondern sich vom Wasser selber zurücktragen lassen.

Wie muss ein Mensch beschaffen sein, der handeln kann, wie das Schild es rät? Er müsste zunächst wissen, dass das Meer seine Gesetze hat und dass seine Bewegungen nicht voll­kommen unberechenbar und chaotisch sind. Er müsste fähig sein, auf die Durchsetzung seines unmittelbaren Zieles, nämlich jetzt — sofort ans Ufer zu kommen, zu verzichten. Er müsste warten und langfristig und geduldig denken können. Er müsste zugeben können, dass er nicht zu allem fähig und nicht ständig Herr seiner Lage ist, dass seine eigenen Kräfte gegen die Gewalt des Meeres lächerlich sind. Er müsste also einen Glauben haben an den Zusammenhang des Ganzen, eine geduldige Hoffnung auf einen guten Ausgang trotz der augenblicklichen Gefahr und die Demut der richtigen Ein­schätzung seiner eigenen Kräfte.

Für mich und mein Motivationsproblem macht dieser Text deutlich, was ich eigentlich weiß und doch immer wieder vergesse: Ich bin ein Teil des „Bodenpersonals“ und nicht der „Lokalheiland“! Meine Aufgabe ich es, so gut, wie mir es nun einmal möglich ist, aus dem zu geben, was mir gegeben und anvertraut ist. Was ist nicht habe, kann und muss ich auch nicht geben. Gib, was du hast und geben kannst, das muss reichen – und es wird reichen!

     Ich wünsche Ihnen und Euch eine gesegnete inspirierende Woche

Ihr/Euer Pastor Schnoor