Liebe Leserinnen und Leser

Ich möchte dieses Mal mit einer Geschichte beginnen:

Blindenheilung

Vierzehn Tage hatte es gedauert. Heute war der erste Tag, an dem er sich etwas besser fühlte. Er lag im Bett, schaute halb schläfrig aus dem Fenster, beobachtete für eine Weile das Spiel von Sonne und Wind im frischen Grün der Bäume.

Er versuchte sich zu erinnern. Er war nach Hause gekommen mit hohem Fieber, hatte sich ins Bett legen müssen. Seine Frau hatte noch am späten Abend den Arzt gerufen. Es musste ziemlich ernst mit ihm gestanden haben. Der Arzt war oft gekommen. Meist hatte er es nur ganz verschwommen wahrgenommen. Hätte er sterben können? “Weg vom Fenster”, wie sein Sohn manchmal sagte. Komische Sache, sich vorzustellen, dass man die Blätter da nicht mehr sehen sollte.

Du hättest sterben können. Er drehte sich auf den Rücken, starrte die Decke an, als könne er sich dadurch besser konzentrieren. Er hob seine Hände vor die Augen. Die Haut war weiß und schlaff. Kranke Hände. Aber er würde sie wieder brauchen können. Die Finger ließen sich beugen und strecken. Mit Wohlbehagen nahm er es wahr.

Die Nächte vor allem waren schlimm gewesen. Abends war das Fieber steil gestiegen, schlimme Atemnot war dazugekommen, Angst hatte ihn gepackt, ihm das Herz zusammengepresst. Zwei-, dreimal hatte seine Frau nachts das Bettzeug wechseln müssen, so sehr hatte er geschwitzt.

Wann hatte sie denn geschlafen? Es fiel ihm nicht ein. Immer, so hatte er das Gefühl, war sie dagewesen. Hatte ihm ab und zu die Lippen angefeuchtet, die Kissen gerichtet, ihn zur Toilette geführt, das Licht abgedunkelt, wenn es ihm zu grell war, ihm die Tasse an den Mund gehoben. Ganz still war sie durchs Zimmer gegangen. Hatte neben ihm gestanden. Seine Hand gehalten.

Irgendetwas kam in ihm auf. Er konnte es noch nicht genau umschreiben. Sie hatte seine Hand gehalten. Jedes Mal, wenn er wach wurde, hatte er das gemerkt. Es hatte ihm gutgetan. Und sie hatte alles ganz still getan. Mit leisen guten Worten. Behutsam. Und immer war sie dagewesen.

Die Tür zur Küche öffnete sich. Sie kam mit einer Tasse herein. “Schau, wie verschieden das Grün ist an den Bäumen da draußen”, sagte er. “Ja? Das hast du früher nie gesehen”, antwortete sie. “Ich habe vorher manches nicht gesehen.” Er nahm ihre Hand und schaute in ein übermüdetes Gesicht mit liebevollen Augen.

Warum ich diese Geschichteausgewählt habe? Weil sie für mich ein wunderbarer Deutungshintergrund für eine andere „Blindenheilung“ ist, durch die hindurch ein Mensch eine Veränderung seines Lebens um 180 Grad erfährt. Er selbst bleibt zwar in seiner Persönlichkeit der Gleiche, aber seine Wertungen, quasi das Vorzeichen seiner Betrachtung des Lebens kehrt sich um. Wir finden diese manchen sicher bekannte Umkehrgeschichte in der Apostelgeschichte der Bibel im 9. Kapitel unter der Überschrift „Das Damaskus-Erlebnis“ oder „Vom Saulus zum Paulus“!

1 Saulus verfolgte immer noch die Jünger des Herrn und drohte ihnen mit Hinrichtung. Er ging zum Hohepriester

2 und bat um eine schriftliche Vollmacht für die Synagogen in Damaskus. Er hatte vor, dort die Anhänger des neuen Weges aufzuspüren. Er wollte sie, Männer und Frauen, festnehmen und nach Jerusalem bringen.

3 Auf dem Weg nach Damaskus, kurz vor der Stadt, umstrahlte ihn plötzlich ein Licht vom Himmel.

4 Er stürzte zu Boden und hörte eine Stimme, die zu ihm sagte:

»Saul, Saul, warum verfolgst du mich?«

5 Er fragte: »Wer bist du, Herr?« Die Stimme antwortete: »Ich bin Jesus, den du verfolgst.

6 Doch jetzt steh auf und geh in die Stadt. Dort wirst du erfahren, was du tun sollst.«

7 Den Männern, die Saulus begleiteten, verschlug es die Sprache. Sie hörten zwar die Stimme, doch sie sahen niemanden.

8 Saulus erhob sich vom Boden. Aber als er die Augen öffnete, konnte er nichts sehen. Seine Begleiter nahmen ihn an der Hand

und führten ihn nach Damaskus.

9 Drei Tage lang war Saulus blind. Er aß nichts und trank nichts.

10 In Damaskus lebte ein Jünger namens Hananias. Dem erschien der Herr und sagte zu ihm: »Hananias!« Hananias antwortete: »Hier bin ich, Herr!«

11 Der Herr sagte: »Steh auf und geh in die Gerade Straße. Dort sollst du im Haus von Judas nach Saulus aus Tarsus fragen. Er ist dort und betet.

12 In einer Erscheinung hat er einen Mann namens Hananias gesehen. Der kam zu ihm und legte ihm die Hände auf, damit er wieder sehen konnte.«

13 Hananias antwortete: »Herr, ich habe schon viel von diesem Mann gehört. Er hat deinen Heiligen in Jerusalem viel Böses angetan.

14 Und jetzt ist er mit einer Vollmacht von den führenden Priestern hierhergekommen. Er will alle festnehmen, die deinen Namen anrufen.«

15 Aber der Herr sagte zu ihm: »Geh nur hin! Denn gerade ihn habe ich mir als Werkzeug gewählt. Er soll meinen Namen bekannt machen – vor den Völkern und ihren Königen wie auch vor dem Volk Israel.

16 Ich werde ihm zeigen, wie viel er leiden muss, weil er sich zu mir bekennt.«

17 Da machte sich Hananias auf den Weg und ging in das Haus.

Er legte Saulus die Hände auf und sagte: »Saul, mein Bruder, der Herr hat mich gesandt – Jesus, der dir auf dem Weg hierher erschienen ist. Du sollst wieder sehen können und mit dem Heiligen Geist erfüllt werden.«

18 Sofort fiel es Saulus wie Schuppen von den Augen, und er konnte wieder sehen. Er stand auf und ließ sich taufen.

19 Dann aß er etwas und kam wieder zu Kräften. Danach verbrachte Saulus einige Zeit bei den Jüngern in Damaskus.

20 Er ging gleich in die Synagogen und verkündete dort: »Jesus ist der Sohn Gottes.«

Das Leben ganz neu sehen, eine Erfahrung machen, die meine bisherigen Wertungen auf den Kopf stellt. Selbst wenn es das eine große „Damaskus-Erlebnis“ sein sollte, brauchte es Zeit, bis die Veränderung neu ausgerichtet hat, man „auferstehen kann“. Das war in der Bibel beim Propheten Jona so, bei Lazarus, bei Jesus und dann bei Saulus/Paulus: alle 3 Tage in der Finsternis, bevor sie in ein neues Leben aufstanden. Symbolische Zahl! Es kann auch spontaner geschehen oder länger dauern! Auf jeden Fall wird deutlich: Wir sind angenommen als die, die wir sind, aber das heißt nie, dass wir auch dieselben bleiben werden. Da geht immer noch was! Gott sei Dank!

     Ich wünsche Ihnen und Euch eine gesegnete Woche und Gottes Kreativität über Ihrem/Eurem Leben. Es muss ja nicht immer gleich die 180 Grad Drehung sein!

Ihr/Euer Pastor Schnoor