Liebe Leserinnen und Leser

Am 31. Oktober war Reformationstag. Alle Jahre wieder! Aber das dürfte den meisten Menschen gar nicht so aufgefallen sein, denn schließlich war ja auch Halloween, der Vorabend zu Allerheiligen (All Hallows´ Eve = Aller Heiligen Abend), ein Fest, das mit irischen Gespenstergeschichten garniert in die USA auswanderte und von dort als großes Marketing-Fest nach Europa zurückkehrte, beworben von allen Medien, ohne dass ersichtlich wäre, was dieses Fest den Menschen denn außer der Faszination des Gruseligen bringen soll. Aber vielleicht reicht das ja schon in einer Welt, in der alles durchdacht und geordnet sein muss, alles seine Funktion haben und handhabbar sein soll und Fehler eigentlich nicht vorgesehen sind, und wenn sie doch geschehen, wird sofort nach Schuldigen gerufen. Natürlich weiß jeder Mensch, dass diese von uns Menschen gebastelte Welt nicht vollständig ist, dass man da schlicht all das ausblendet, was wir mit unserem Verstand oder unserer Technik nicht einfach im Griff haben, was nicht greifbar ist, was uns Angst macht und uns die Grenzen unserer Möglichkeiten aufzeigt. Sofort wird aus dem „nicht im Griff haben“ ein „noch nicht im Griff haben“, weil ja der Fortschritt voranschreitet und demnächst hat die Medizin oder welche Wissenschaft auch sonst das dann auch im Griff!

Und wenn das nicht geht, dann wird das Bedrohliche lächerlich gemacht, und eigentlich sei es doch ganz leicht zu besiegen, wenn man sich seiner Angst stelle und das Ganze vernünftig betrachte. Und bei entsprechenden Filmen, in denen die Katastrophe eigentlich unausweichlich ist, kommt dann in den letzten Minuten noch irgendein Held auf die Bühne oder irgendein Zufall produziert die große Lösung. Das nennt man „Deus ex machina“, und in Büchern oder Theaterstücken ist es nicht gerade ein Zeichen von Qualität!

Und so ist es auch bei Halloween. Man verkleidet sich gruselig, um spielerisch das Beängstigende im Leben klein zu halten; es auf Distanz zu halten, indem man es spielerisch an sich heranlässt.

Für viele Ängste im Leben reicht diese Strategie ja auch völlig aus und ist durchaus sinnvoll. Aber wenn die Angst der angemessene Schutzinstinkt für reale Gefahren ist, dann passt sie nicht mehr. Wenn ein hungriger Löwe auf einen zuläuft, nützen weder Lachen noch ein Kostüm etwas! Und auch bei den realen Bedrohungen unserer Gegenwart wie der drohenden Klimakatastrophe, dem Ukrainekrieg, der Wirtschaftskrise oder Corona und so manchen anderen Krisen, die wir gerade nicht im Bewusstsein haben, was sich aber sehr schnell ändern kann, ist es genauso: Weder Lachen noch Kostüm helfen uns weiter, sondern nur der Mut, sich der eigenen Angst zu stellen und dann das zu tun, was zu tun möglich und angemessen ist. Das wird bei dem Einen der radikale Verzicht auf Fleischprodukte sein, bei einer anderen der Verzicht auf Flugreisen. Andere drehen die Heizung runter und sparen Energie oder verzichten gar auf ein eigenes Auto (Was Leuten in Großstädten sicher leichter fällt als Menschen auf dem Land, aber manches geht trotzdem mit ÖPNV („Smartes Dorfmobil!!“). Das ist durchaus mit eigenen Einschränkungen verbunden, und nicht jede(r) wird die gleichen Schritte tun, aber die Strategie der Verharmlosung ala Halloween oder der Verdrängung, wäre bei diesen Krisen fatal. Sie gehen nämlich nicht weg, nur weil ich die Augen vor ihnen verschließe!

Aber immerhin, hier kann man (manchmal) wenigstens etwas tun. Ob es reichen wird, lässt sich allerdings nur hoffen und nicht sicher sagen. Aber immerhin!

Aber dann gibt es Ängste, in denen es um nichts weniger als uns selbst geht. Die Tiefe dieser Ängste macht eine kleine Geschichte  überdeutlich:

Lebensangst (Willi Hoffsümmer, Kurzgeschichten 1 Nr. 202)

Da war ein junger Mann. Aus Verzweiflung und Angst, mit seinem Leben nicht fertig zu werden, ging er zu einem Psychiater und klagte ihm seine Not. Der Psychiater gab ihm unter anderem den Rat: “Gehen Sie in den Zirkus, der zur Zeit in unserer Stadt gastiert. Dort tritt ein großartiger Clown auf, der Sie zum Lachen bringen und aufheitern wird.”

Da erschrak der Patient. Er packte den Arm des Arztes und sagte: “Herr Doktor, dieser Clown bin ich!”

Derjenige, der in seiner Rolle andere Menschen zum Lachen bringt, ist selbst eine zutiefst tragische Existenz und steht für all die Abgründe eines Lebens, die sich manchmal auftun können und die man selbst nicht zu schließen vermag.

Auf dieser Ebene der Angst kommt dann die Entdeckung zum Tragen, die vor über 500 Jahren zur Reformation führte. Die Grundüberzeugung, dass Gott uns in Jesus Christus gezeigt hat, dass er immer auf unserer Seite ist und bleibt und am Ende das Leben gegen den Tod, der Glaube gegen die Angst und die Liebe gegen Selbstsucht und Gleichgültigkeit siegen werden. Allerdings geschieht das eben nicht durch einen „Deus es machina“, sondern durch das Vertrauen, das selbst in der hereinbrechenden Katastrophe bleibt. Der Weg ins Leben geht durch den Tod. Gott siegt durch die Niederlage hindurch! Das ist das abenteuerliche Risiko, auf das sich christlicher Glaube einlässt gegen alle Angst:

Ich bin geliebt, egal wie viele nicht liebenswerte Anteile ich zu haben glaube. Ich trage Sinn in mir, selbst dann noch, wenn ich meine Existenz für völlig sinnlos halte. Mein Leben geht weiter, auch wenn ich es verliere! Sinnlose Aussagen? Oder ein Fundament gegen die tiefsten Ängste in mir? Jedenfalls genau die Ebene des Lebens, um der es der Reformation damals ging und bis heute geht. Und so wird auch das berühmteste Lied der Reformation verständlich, mit dem Martin Luther damals Psalm 46 vertonte (übrigens 1529 als Protest dagegen, aus Wittenberg eine Festung mit Kanonen machen zu wollen!)

1. Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen. Er hilft uns frei aus aller Not,die uns jetzt hat betroffen. Der alt böse Feind mit Ernst er’s jetzt meint; groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist, auf Erd ist nicht seinsgleichen.

2. Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren; es streit’ für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren. Fragst du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott, das Feld muss er behalten.

3. Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen. Der Fürst dieser Welt, wie sau’r er sich stellt, tut er uns doch nicht; das macht, er ist gericht’: Ein Wörtlein kann ihn fällen.

4. Das Wort sie sollen lassen stahn und kein’ Dank dazu haben; er ist bei uns wohl auf dem Plan mit seinem Geist und Gaben. Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib: Lass fahren dahin, sie haben’s kein’ Gewinn, das Reich muss uns doch bleiben.

Darum geht es bei Reformation, um ein Vertrauen, das der Tiefe der Angst standhält und so die Möglichkeit eröffnet, das tun zu können und zu tun, was wir können und nicht am Scheitern unserer Größenphantasien zugrunde zu gehen.

Wenn Ihnen und Euch das jetzt sehr theoretisch und etwas konfus erscheint, seid bitte nachsichtig mit mir, ich bin in den letzten Zügen einer Corona-Infektion. Da kann das schon mal passieren!

Bleibt behütet!

Ihr/Euer Pastor Schnoor