Liebe Leserinnen und Leser

Eigentlich sind wir noch nicht im Advent, sondern kirchlich „Zwischen den Jahren“! Das neue Kirchenjahr beginnt erst am nächsten Sonntag mit dem ersten Advent, aber ansonsten ist Advent schon da. Montagmorgen war ich mit meiner jüngeren Tochter, die ein paar Tage bei uns war, in Schleswig. Sie brauchte neue Schuhe. Die besorgten wir, und gegen Mittag war dann auch schon zögerlicher Betrieb auf dem Weihnachtsmarkt am Capitolplatz. Am Dienstag nahm ich dann das erste Mal die Adventsbeleuchtung in Süderbrarup wahr. Es geht also wieder los! Und wie in jedem Jahr merke ich in dieser Woche, in der um mich schon der Advent als die lichtreiche Vorweihnachtszeit beginnt – obwohl wir dieses Jahr doch Energie sparen sollen! –, dass ich noch nicht soweit bin. Ich hänge noch den Namen unserer Verstorbenen des letzten Kirchenjahres vom Sonntag nach. Und ich bin mit einigen wenigen Lebensproblemen anderer Menschen konfrontiert und mit Beziehungsproblemen und damit, dass ich die Wochenandacht für letzte Woche nicht fertig bekommen habe, so dass da jetzt eine Lücke in meinen Andachten ist, die ich nicht mit „Urlaub“ begründen kann, sondern einfach damit, dass mein kreativer Akku leer war und ich noch zu sehr mit Volkstrauertag und Buß- und Bettag und Toten-/ Ewigkeitssonntag beschäftigt war – und mit meinen Töchtern, die uns am Wochenende einen Besuch abstatteten, und das war einfach schön, etwas Zeit als Familie zu haben.

Also, wie gesagt, ich nehme Advent um mich wahr, aber bin selbst noch nicht so ganz drin. Geht Ihnen und Euch das auch so? Oder ist das einfach nur die Marotte eines Pastors, sich in dieser Zeit zu fragen: Was tun wir eigentlich, wenn wir im Advent sind, was ist das eigentlich, Advent, außer einer oft anstrengenden Zeit mit vielen Lichtern im dunkelsten Monat, mit vielen Terminen und meist reichlich Kalorien?! Kaum zu glauben, dass Advent einmal eine Fastenzeit war! Es wurden früher zwar auch Kuchen, Kekse, Stollen usw. in der Adventszeit gebacken, aber gegessen wurden sie erst Weihnachten. Gerade das machte das Besondere des Festes aus, man nahm nicht schon alles vorweg, so dass man Weihnachten auf manches schon keinen Appetit mehr hatte. – Es hat sich halt verändert, wie so manches in unserem Leben. Ist es besser geworden? Das muss wohl jeder und jede selbst entscheiden! Eine persönliche Tradition habe ich aber beibehalten, teils dienstlich teils aber auch einfach für mich: Ich lese gerade in dieser Zeit sehr gerne kurze Advents- und Weihnachtsgeschichten. Und in einem Sammelband („Für jeden leuchtet ein Stern“. Weihnachtliche Texte von Phil Bosmans, Anselm Grün, Andrea Schwarz, Christa Spilling-Nöker, Pierre Stutz, Herder Verlag 2006) fand ich auf den Seiten 24-26 einen Text des Benediktiners Anselm Grün, von dem ich hoffe, dass er mich dieses Jahr auch innerlich in den Advent hineinbringt, und Sie und Euch vielleicht ja auch:

„Advent heißt Ankommen“

Advent heißt »Ankunft«. Häufig höre ich Menschen seuf­zen: »Ich bin noch nicht ganz da. Lass mich doch erst ein­mal ankommen!« Wir sind meistens nicht dort, wo wir sind. Wir sind mit unserer Seele noch nicht angekommen. Wir feiern im Advent die Ankunft Jesu Christi bei uns, sein Ankommen in unserem Herzen. Natürlich wissen wir, dass Jesus schon gekommen ist. Er ist vor zweitausend Jah­ren als Mensch auf diese Erde gekommen, um mit uns zu sein. Und er ist längst schon bei uns da. Aber wir erleben ihn als den Kommenden, weil wir selbst nicht bei uns sind. Karl Valentin hat das treffend ausgedrückt: »Ich bekomme heute Abend Besuch. Ich hoffe, dass ich daheim bin.« Wir sind oft nicht bei uns daheim. Wir sind irgendwo mit un­seren Gedanken und Gefühlen, gehen mit unseren Gedan­ken spazieren. Weil wir nicht bei uns sind, erleben wir Christus, der schon längst bei uns ist, als den Kommen­den. Die Frage ist, ob dieser Jesus bei uns auch wirklich ankommt.

Das deutsche Wort »Abenteuer« kommt von advenire, Advent, Ankunft. Wenn Gott zu uns kommt, dann ist das ein Abenteuer für uns. Dann brechen unsere routinierten Gewissheiten und Sicherheiten zusammen. Es gibt zahl­reiche Märchen, die davon erzählen, dass einer die Ankunft Gottes bei sich erwartet. Er bereitet ein festliches Essen vor. Aber da kommen ihm andere in die Quere. Ein Armer klopft an und bittet um Hilfe. Er wird weggeschickt. Ein Junge kommt, aber er stört beim Warten auf das Kommen Gottes. In Wirklichkeit ist Gott in diesen ärmlichen Men­schen gekommen. Aber wir sind so sehr auf unsere Bilder von Gott fixiert, dass wir sein Kommen übersehen. Wir warten immer auf etwas Außergewöhnliches und merken gar nicht, wie Gott täglich zu uns kommt in Menschen, die uns um etwas bitten, in Menschen, die uns mit einem Lächeln beschenken. Jede Begegnung mit einem Men­schen ist ein Abenteuer, ein Ankommen Gottes bei uns, das zu einem besonderen Ereignis wird, wenn wir offen da­für sind.

Samuel Beckett hat in seinem Drama »Warten auf Godot« das vergebliche Warten der beiden Landstreicher Wladimir und Estragon auf einen gewissen Herrn Godot beschrieben. Beide warten und warten, aber Godot kommt nicht. Sie wollen sich schon aufhängen. Aber es kommt nicht dazu, sie scheitern damit. Da sagt Estragon: »Und wenn er kommt?« Wladimir antwortet: »Sind wir gerettet.« Das ist wahr: Wenn Gott zu uns kommt, dann sind wir gerettet. Das erhoffen heute viele Menschen. Aber sie war­ten vergeblich, dass Gott zu ihnen kommt. Sie erfahren sein Kommen nicht.

Gott kommt in jedem Augenblick. So sagen es die Mystiker. Die Adventszeit möchte dich einladen, bei dir selbst anzukommen, damit Christus zu dir kommen kann, in jedem Augenblick, aber auch am Ende der Zeit, wenn deine Zeit zu Ende ist und Christus in seiner Herrlichkeit zu dir kommt, damit du für immer bei ihm bist und bei dir, angekommen am Ziel deines Suchens.

Ich habe nach dem Lesen dieses Textes meinen Wunsch für die Adventszeit fertig: So möchte ich jeden Tag mindestens etwas erleben, als Begegnung mit mir selbst und mit Gott in all den Begegnungen der Adventszeit, egal, ob der Terminkalender nun voll ist oder auch einmal nicht. Und dann werde ich sie auch wieder mehr genießen können, all die menschlichen Versuche, aus der Adventszeit eine besondere Zeit zu machen, auf dass es wirklich Weihnachten wird und – wie es der Schlesische Dichter und Mystiker Angelus Silesius so schön formulierte: Christus in mir zur Welt kommt und nicht nur vor 2000 Jahren in Bethlehem. Und in Ihnen und Euch doch hoffentlich auch!

Ich wünsche einen guten Start in die Adventszeit, mit schönen Erlebnissen und genug Zeit und innerer Ruhe, damit es nicht zu hektisch wird!

Ihr/Euer Pastor Schnoor