Liebe Leserinnen und Leser

Mittlerweile hat sie wieder begonnen, die Passions- oder Fastenzeit. Am vergangenen Mittwoch („Aschermittwoch“ wegen des im katholischen Bereich verbreiteteren Brauch, Aschekreuze auf die Stirn gezeichnet zu bekommen) war mal wieder „alles vorbei“! Das allerdings ist nur auf den vorgeschalteten Karneval bezogen. Die Zeit der Narren hat mal wieder ein Ende. Wirklich? Wenn mit „Narren“ die Karnevalisten gemeint sind, dann schon! Aber „Narren“ sind nicht nur die Nachfolger der „Hofnarren“ die als einzige den Regierenden die Wahrheit sagen konnten, weil sie es in der Rolle eines Spaßmachers taten, den man nicht ernstnehmen musste. „Narren“, das sind auch diejenigen, die nicht richtig nachdenken und in einer Situation alles falsch machen. Und diese Form von Narren hält sich nicht an Jahreszeiten des Karnevals oder des Fastens, wie man nicht nur im Bereich der Politik – leider – immer wieder feststellen muss (wegen anderweitiger Verpflichtungen komme ich erst heute am 1. Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine dazu, diese Andacht zu schreiben!!).

Und es gibt diese Form von Narrheit auch nicht erst seit heute, sondern vielleicht schon immer. Jedenfalls gibt es auch in der Bibel so manche Beispiele.

Eines davon ist die Lesung des Evangeliums vom letzten Sonntag (Estomihi = „sei mir (ein starker Fels und eine Burg“ aus Psalm 31 Vers 3); eine Geschichte, die als „erste Leidensankündigung“ überschrieben wird. Dreimal, so berichten die Evangelien, teilt Jesus seinen Schülerinnen und Schülern mit, dass am Ende des Weges nach Jerusalem, der Hauptstadt, Verhaftung, Leiden, Tod und Auferstehung auf ihn warten. Und immer wird berichtet, die Jünger würden es nicht verstehen. Offensichtlich waren sie von ihren je eigenen Erwartungen an Jesus geblendet und verdrängten das, was er ihnen sagte.

Am konzentriertesten erscheint die Narrheit der Jünger am Beispiel des Simon Petrus, denn unmittelbar vor der ersten Leidensankündigung ist er es, der verstanden zu haben scheint, wer Jesus wirklich ist:

Jesus zog mit seinen Jüngern weiter in die Dörfer bei Cäsarea Philippi. Unterwegs fragte er sie: »Für wen halten mich eigentlich die Leute?« Sie antworteten: »Manche halten dich für Johannes den Täufer, andere für Elija. Wieder andere meinen, dass du sonst einer der alten Propheten bist.« Da fragte er sie: »Und ihr, für wen haltet ihr mich?« Petrus antwortete: »Du bist der Christus.« Jesus schärfte ihnen ein: »Sagt niemandem, wer ich bin!« (Markus 8, 27-30) Im Matthäus-Evangelium wird diese Geschichte im Blick auf Petrus noch ausgebaut mit Versen, die sich in der Kuppel des Petersdoms zu Rom wiederfinden:

Jesus sagte zu ihm: »Glückselig bist du, Simon, Sohn des Johannes! Diese Erkenntnis hast du nicht aus dir selbst, sondern von meinem Vater im Himmel. Und ich sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Fels werde ich meine Gemeinde bauen. Nicht einmal die Macht des Todes wird ihr etwas anhaben können. Ich werde dir die Schlüssel zum Himmelreich geben: Was du auf der Erde für gültig erklärst, wird auch im Himmel gelten. Was du nicht für gültig erklärst, wird auch im Himmel nicht gelten.« Dann schärfte Jesus den Jüngern ein: »Sagt niemandem, dass ich der Christus bin!« (Matthäus 16, 17-20)

Anscheinend hat er es verstanden, wer Jesus ist! „Der Christus, der erwartete Messias“! Er benutzt also den Titel, den wir Christinnen und Christen dann seit 2000 Jahren fast wie einen Eigennamen für Jesus verwendet haben: Jesus (der) Christus! Aber dann folgt unmittelbar die „erste Leidensankündigung“:

Danach begann Jesus seinen Jüngern zu erklären, was Gott mit ihm vorhatte: »Der Menschensohn wird viel leiden müssen. Die Ratsältesten, die führenden Priester und die Schriftgelehrten werden ihn wie einen Verbrecher behandeln. Sie werden ihn hinrichten lassen, aber nach drei Tagen wird er vom Tod auferstehen.« Das sagte er ihnen ganz offen. Da nahm Petrus ihn zur Seite und fing an, ihm das auszureden. Aber Jesus drehte sich um, sah seine Jünger an und wies Petrus streng zurecht: »Weg mit dir, Satan, hinter mich! Dir geht es nicht um das, was Gott will, sondern um das, was Menschen wollen.« (Markus 9, 31-33)

Petrus hat also den richtigen Titel für seinen Lehrer, aber er hat nicht verstanden, wofür dieser Titel eigentlich steht, was er bedeutet! Und ich frage mich, ob ich, ob wir Heutigen so viel weiter sind als der gute Petrus damals!? Wir machen uns auch unsere Bilder von Jesus und von Gott, den Jesus uns ja gerade nahebringen will. In wie vielen unserer Jesusbilder spielt das Leiden eigentlich noch eine wesentliche Rolle? Ich habe oft den Eindruck, unsere Vorstellungen und Wünsche gehen eher in eine ähnliche Richtung wie bei Simon Petrus ( = Simon der Fels!) damals und könnten mit einem alten Schlager von 1984 in Worte gefasst werden, in dem Udo Jürgens und seine Tochter Jenny sangen: „Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden und eine Hand, die deine hält. Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden und dass dir nie die Hoffnung fehlt. Und dass dir deine Träume bleiben und wenn du suchst nach Zärtlichkeit, wünsch ich dir Liebe ohne Leiden und Glück für alle Zeit!“

Kommt meinem Jesus- und Gottesbild manchmal ziemlich nahe. Ich möchte die Realität des Leidens gerne ausblenden und das „heile Leben“ haben. Und genau da liegt das Problem dieser Sicht. In dieser Welt gibt es das „heile Leben“ nicht als Dauerzustand und keineswegs immer gerade für alle! Und wenn ich das Leben auf das „heile Leben“ beschränke und aus „Gott“ den „lieben Gott“ mache, dann blende ich die Realität oder mindestens einen ziemlich großen Teil davon aus. Dann will ich das nicht wahrhaben und verdränge das Böse, das Harte, das Schmerzliche und oft die Menschen gleich mit, die darunter leiden, weil mich das in meiner Idylle stören würde.

Jesus ist dem Leiden gerade nicht ausgewichen, sondern ist ganz bewusst seinen Weg gegangen. Hatte er Angst? Ganz gewiss! Die Szene im Garten Gethsemane ist da sehr eindeutig! Er ist trotzdem weiter den Weg gegangen, den er als den Weg Gottes mit ihm erkannt hatte. Was dieser Weg deutlich macht? Dass es keine Situation im Leben gibt, und sei sie noch so finster, in der Jesus, in der Gott nicht an unserer Seite wäre! Und dass selbst der Tod nicht absolutes Ende ist, sondern Durchgang zu etwas Neuem! Und das alles hat mit den drei Größen Vertrauen = Glaube, Hoffnung und Liebe zu tun, in denen der Apostel Paulus in einem Lied zusammenfasst, dass sie das sind, was bleibt, wenn alles andere vergeht (1. Korinther 13,13) und auch dem Dunklen, dem Schweren, dem Schrecklichen standhalten. Die Frage ist, ob wir diese Sicht von Gott, von Jesus, vom Leben an uns heranlassen und so das Negative nicht ausblenden, sondern als den Teil des Lebens erkennen, der noch überwunden werden muss! Die Passionszeit erinnert uns alle Jahre wieder aufs Neue daran, nicht als Selbstzweck, weil Christinnen und Christen Leiden so toll fänden, sondern weil es der Teil des Lebens ist, der überwunden werden muss – und das geht weder mit Verdrängung noch mit Gegengewalt! Wie aber dann? Das genau bedeutet Nachfolge! Es herauszufinden im Blick auf Jesus und sein Leben!

Ich wünsche Ihnen und Euch  – und mir – gute Erkenntnisse auf dem Weg!

Ihr/Euer Pastor Schnoor