„Versuchung“, das Thema dieser Woche, und nein, ich meine wieder einmal nicht die „zarteste Versuchung, seid es Schokolade gibt“. Letzteres will uns die Werbung weismachen — und das nicht nur im Schokoladenbereich. „Man gönnt sich ja sonst nichts!“‚ heißt es da und suggeriert, dass wir Menschen dazu da sind, uns etwas zu
gönnen und einen Schnaps zu trinken! Oder man will uns (gesellschaftlich leider ziemlich erfolgreich im Laufe derJahre!) weismachen, dass Geiz „geil“ sei, und wir ausschließlich nach dem Preis schauen sollen und uns dann bitte hinterher aber auch nicht beschweren dürfen, wenn das Einzelhandelsgeschäft am Ort geschlossen wird, weil es mit der Internet-Konkurrenz oder den Discountern nicht mithalten kann!
Ich habe übrigens nichts Grundsätzliches gegen Discounter oder Internet-Händler, sondern stelle einfach nur fest, dass unser Verhalten auch als Konsumenten eben Konsequenzen hat, und dass die eigentliche „Versuchung“ von Werbung nicht nur darin besteht, dass wir bestimmte Produkte bestimmter Hersteller auf bestimmte Weise kaufen sollen. Die wirkliche Versuchung hinter Werbung, aber nicht nur hinter ihr, liegt darin, dass unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit, von Sinnhaftigkeit des Lebens manipuliert und verschoben wird.
Wir fangen an, zu glauben, bestimmte Dinge würden uns Glück schenken, unser Leben sinnvoller machen oder gar, dass wir sie für ein gutes Leben brauchen. Damit wird der Sinn von Leben Richtung materieller Besitz verschoben, aber kein noch so großer Besitz kann einem Leben Sinn schenken. Besitz kann angenehm sein, eröffnet Möglichkeiten. Aber es ist immer die Frage, für welche, der eröffneten Möglichkeiten ich meinen Besitz verwende? Für mich und meine Begierden? Für andere Menschen, die Unterstützung brauchen, für den Naturschutz oder für andere Ziele? Übrigens verringert Besitz auch nicht automatisch die Sorgen, wie manche Menschen denken.
Natürlich hängen manche Probleme des Lebens mit der Frage zusammen, ob ich etwa genug Geld für Wohnung, Heizung, Nahrung, Kleidung und andere grundlegende Notwendigkeiten habe. Aber wenn diese Grundbedürfnisse gesichert sind, verschafft ‘ Reichtum keinen Mehrwert an Glück, sondern produziert seinerseits oft Probleme.
Jesus hat in der Bergpredigt im Blick auf den Reichtum einmal gesagt: lhr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo Motten und Rost sie fressen und wo Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motten noch Rost sie fressen und wo Diebe nicht einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. (Matthäus 6, 19-21) und auch: Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. (Matthäus 6,24)
Die Grundgefahr des materiellen Reichtums liegt in dem Irrtum, durch diesen Reichtum das eigene Leben absichern zu können und automatisch ein besseres Leben haben zu können als die Menschen, die weniger besitzen. Dazu kommen die anderen „Wöhrungen“, die in die gleiche Richtung zielen: Macht, Einfluss usw. Kein Wunder, dass die dritte und letzte Versuchung Jesu in der Wüste in folgendem besteht: Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. (Matthäus 4,8-9) Die Versuchung der Macht, die immer den Haken hat, dass man dann auch nach den Regeln der Macht/des Teufels spielen muss: wenn du niederfällst und mich anbetest!!!
Jesus hatte sich in seinen Versuchungen mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Art von „Sohn/Kind Gottes“ er sein wolle, einer, der „Brot geben“ und Menschen damit von sich abhängig machen kann, so wie die römischen Kaiser? Oder einer, der davon ausgeht: Gott ist auf meiner Seite und mir kann nichts passieren! Und der Gott zu einer Art Versicherung des Lebens macht? Oder eben einer, der der Macht und ihren Spielregeln folgt. Jesus erkennt alle drei Weisen zu leben als Versuchungen und wird einen anderen Weg gehen, den Weg zu den Menschen, um zu predigen, zu heilen, zu teilen, sie anzunehmen und ihnen Wert vor Gott zu verleihen und schließlich den Weg des Leidens auf sich zu nehmen.
Wie ist das mit unseren Versuchungen? Ich vermute, es gibt keinen Menschen, der es nicht mit Versuchungen zu tun hätte, mit Ideen, Vorstellungen oder Verhaltensweisen, die gefangen nehmen, die dafür sorgen, dass man sich in sich selbst verkrümmt und die anderen Menschen und sonstigen Mitgeschöpfe nicht mehr wirklich in ihrer Bedürftigkeit wahrnimmt. Wir stehen immer in der Versuchung, den eigenen Komfort, die eigene Bequemlichkeit auf Kosten anderer zu leben, und oft genug erliegen wir ihr.
Und es ist absolut kein Zufall, dass im Vaterunser, dem Gebet, das Jesus uns hinterlassen hat, Erinnerungen für uns selbst stecken wie: dein Wille geschehe (nicht meiner!), unser tägliches Brot gib uns heute (nicht nur meinsl), vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern (also erstens, ja ich bleibe Anderen etwas schuldig, und wenn ich das erkenne, dass ich davon lebe, dass mir vergeben wird, dann funktioniert das nur wirklich, wenn ich diese Gesinnung von Vergebung auch töglich neu einübe!) und schließlich führe uns nicht in Versuchung (hilf uns, dass wir uns in unseren Bedürfnissen und Wünschen nicht so verheddern, dass wir völlig unfrei uns selbst und anderen gegenüber werden).
Zum Schluss noch eine kleine Geschichte zur Einordnung! Die Hölle war völlig überfüllt, und dennoch stand eine lange Warteschlange am Eingang. Schließlich musste der Teufel verkünden, dass nur noch ein Platz frei sei, nur ein ganz schlimmer Mörder könne diesen Platz noch bekommen .Er befragte der Reihe nach die Leute, aber kein Vergehen schien ihm schwer genug für den letzten Platz in der Hölle. Schließlich befragte er einen etwas abseitsstehenden Mann. »Und Sie?« »lch bin ein guter Mensch. Ich bin nur aus Versehen hier«, gab dieser zur Antwort. »lch glaubte, die Leute stehen in der Schlange, um Zigarren zu kaufen.« »Jeder Mensch stellt etwas Böses an«, sagte der Teufel tief überzeugt. »Nein, ich habe immer nur zugesehen — aber ich habe mich ferngehalten. Ich habe mich nie eingemischt, wenn sie einander erschlagen oder verfolgt haben. Ich habe nie den Mund aufgemacht, wenn sie Flüchtlinge in ihr Land zurückgeschickt haben oder Kinder verhungert sind. Ich allein widerstand dem Bösen und tat nichts.« »Sind Sie sicher, dass Sie nie etwas getan haben?«, gab der Teufel ein letztes Mal zu bedenken. »Ja, sogar wenn es vor meiner Haustür geschah.« »Mit Ihnen bin ich zufrieden, Sie sind mein Mann. Der Platz gehört lhnen.« Und als der Teufel den »guten Menschen« einließ, soll er sich zur Seite gedrückt haben, um nicht mit ihm in Berührung zu kommen.
(Andreas Hohn, Beim Wort genommen. Ein Andachtsbuch, Gütersloh 2002, 57)
Ihnen und Euch ein gutes Wochenende und eine gesegnete neue Woche
Ihr/Euer Pastor Schnoor