Liebe Leserinnen und Leser

Diese sich nun schon wieder dem Ende zuneigende Woche hat mit dem sog. „Sonntag zum Guten Hirten“ begonnen, und ich dachte, ich könnte mich diesem uralten Bild für Gott und Jesus Christus zuwenden, das in der frühen Christenheit einen viel höheren Stellenwert hatte als das Bild vom Gekreuzigten – jedenfalls solange es die Kreuzigung als Hinrichtungsart gab! Der Hirte, das war das Bild für den Christus, der sich um die Herde kümmerte, sie beschützte und – nicht zuletzt – der verlorene Schafe zurückholte und rettete.

Wie gesagt, ich wollte schon wieder, aber dann merkte ich, dass ich das ja schon vor 2 Jahren in einer Andacht getan hatte. Ich hatte sie mir noch einmal angesehen und festgestellt, so viel grundlegend Neues hatte ich nicht.

Und ich stellte, wie schon zu anderen Gelegenheiten fest: Es wird mit der Zeit immer schwieriger, eine Andacht zu schreiben ohne dabei der Gefahr zu erliegen, sich zu wiederholen. Also was tun? Vielleicht einfach von mir schreiben, von Situationen, in denen ich selbst jemanden gebraucht habe, der für mich die Rolle eines „Hirten“ übernommen hat, denn auch wir „Hirten“ (Pastor = lateinisch für Hirte!) brauchen – vielleicht für manche überraschenderweise – Hirten, die auf uns aufpassen, wenn wir an unsere Grenzen stoßen, sie zu lange überschreiten oder einfach schlicht vom Kurs abkommen, in Selbstzweifel geraten oder mit den Kräften am Ende sind.

Das können unsere Vorgesetzten sein, aber die sind oft mindestens genauso eingespannt. Es können professionelle Krisenbegleiter sein (Seelsorger, Supervisoren, Coaches oder Therapeuten), und manchmal müssen es tatsächlich Profis sein, aber keineswegs immer, wie ich gerade gestern Abend (27.04.) wieder einmal bemerkt habe.

Am Ende einer abendlichen Sitzung habe ich noch mit einer Frau gesprochen, die mir in den letzten Wochen immer wieder einmal, wenn wir uns sahen, mitteilte, ich sähe erschöpft aus, so auch gestern. Ich war gestern in der Tat erschöpft und innerlich sehr müde, obwohl ich gehört hatte, dass die Trauerfeier am Mittag sehr gut gewesen sei. Kennt Ihr das, dass es eigentlich keinen konkreten Grund gibt, warum man innerlich müde und auch deprimiert ist – und man ist es trotzdem? So einen Abend hatte ich gestern. Und dann kam das Gespräch, das eigentlich gar nichts besonderes war, halt ein Gespräch auf der Straße, bevor die eine in ihren Wagen steigt und ich über den Friedhof nach Hause gehe. Aber ich konnte über das sprechen, was mir auf der Seele liegt und was mich deprimiert, und warum mein Akku laufend leer zu sein scheint und ich mich durch viele Arbeiten mit ungeheuer starken Widerständen durchkämpfen muss. Und mein Gegenüber stellte mir einige Fragen, die ich mir schon lange nicht mehr gestellt habe, weil ich aufgegeben hatte zu hoffen an dieser Stelle. Und mein Gegenüber gab mir Rückmeldung oder wie es Neudeutsch heißt: „Feedback“, und ich konnte es hören, dass ich anscheinend doch nicht alles falsch mache, und es vielleicht ja doch nicht nur an mir hängt, dass Beerdigungen die einzig gut besuchten Gottesdienste der letzten Monate waren, was sich bei mir als Enttäuschung so langsam festgesetzt hatte.

Kurzum, das Gespräch tat mir gut. Es hat mich sicher nicht mit einem Schwung aus meiner inneren „Talsohle“ herausgeholt, aber mit dazu beigetragen, dass ich nicht noch weiter hineingerutscht bin. Genau das macht für mich einen Hirten, eine Hirtin im Alltag aus; auf den Anderen zu achten, mitzubekommen, wenn es ihm oder ihr nicht so gut geht, sich, ein wenig Zeit und Aufmerksamkeit zur Verfügung zu stellen und dem Gegenüber beim Aufstehen oder beim Finden eines Weges zu helfen – und sei es nur das beruhigende Gefühl zu vermitteln: Du bist nicht allein! Ich sehe dich! Danke an meine „Hirtin“ von gestern Abend und dann an meine Frau, die dann noch etwas „Nachsorge“ an mir betrieben hat!

Ich würde Sie und Euch mit dieser Schilderung meiner persönlichen Befindlichkeit nicht belästigen, wenn ich nicht den Eindruck hätte, dass viele Menschen in diesen Zeiten so einen „Hirten“ bräuchten, um manches anzusprechen und aufzuarbeiten, das in den letzten ja nicht einfachen Jahren sich aufgehäuft hat und die Seele manchmal schon ziemlich unter sich begräbt. Manchmal braucht man wirklich Profis, oft aber auch nur Menschen, die sich Zeit nehmen, die zuhören und offen ihre Meinung sagen, ohne mich zu verurteilen und klein zu machen. Meine Erfahrung ist, dass es solche Menschen waren, von denen ich gelernt habe, wie ich (hoffentlich häufiger) selbst dann auch wieder Hirte sein kann: geduldig, als Zuhörer auch zwischen den Zeilen, als einer, der nicht verurteilt, sondern weiß, dass er selbst – weiß Gott – nicht perfekt ist! Und als einer, dem sehr bewusst ist, dass die Rollenverteilung beim nächsten Mal auch wieder ganz anders aussehen kann und dann wieder ich es bin, der Hirte oder Hirtin braucht.

Und an diesem Punkt fällt mir dann auch wieder der Gebetstext ein, den ich im Gottesdienst am letzten Sonntag gelesen habe (ich habe leider keine Quellenangabe!):

Wir machen den Weg frei, sagt die Sparkasse.

Man gönnt sich ja sonst nichts, sagt die Likörfirma.

Machen Sie das Beste aus Ihrem Typ, rät die Frauenzeitschrift.

Es ist ein gutes Gefühl, unterwegs nie allein zu sein, sagt der ADAC.

Du sagst: Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.

Leben Sie, wir kümmern uns um die Details, sagt die Kreditbank.

Nichts ist unmöglich, sagt der Autohersteller.

Kommunikation ist alles, sagt die Telekom.

Erfüllen Sie sich Ihre Träume, sagt die Lottogesellschaft.

Du sagst: Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte zieht den Schafen nicht das Fell über die Ohren.

Wenn Ihr Schutzengel mal nicht aufpasst: Immer da, immer nah, sagt die Versicherung.

Bei uns sitzen Sie in der ersten Reihe, sagt der Fernsehsender.

Genieße den Duft von Freiheit und Abendteuer, sagt die Tabakindustrie.

Wir sind ein starker Partner, sagt die Werbung.

Du sagst: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme und sie folgen mir.

Lass uns Deine Stimme hören inmitten all der anderen Stimmen und lass uns Dir folgen. Amen

Ich wünsche gute Erfahrungen als Hirte/Hirtin oder auch in der anderen Position, um wieder einen guten Weg zu finden!

Ihr/Euer Pastor Schnoor