Liebe Leserinnen und Leser

„Kantate“ (=Singt!) der Sonntag der Musik liegt hinter uns, flankiert vom „Mein Maitag“ und dem großen Chorkonzert im Haus der Gemeinschaft. Viele, die sich darüber gefreut und gerne zugehört haben, manche haben auch einen völlig anderen Musikgeschmack! Das ist so individuell, wie heutzutage ja fast alles individuell ist, und manchmal prallen auch hier die Geschmäcker aufeinander.

Und eigentlich ist Musik schon immer eine Größe gewesen, die unsere menschliche Gefühlswelt intensiv beeinflussen konnte. Musik verbindet Gefühl und Situation, kann manchmal nerven – wenn ich ein bestimmtes Lied überhaupt nicht mag, was bei mir meist aber mehr mit dem Text als mit der Melodie zusammenhängt! – öfter aber hilfreich sein, indem ich emotional „aufblühen“ kann. Wenn ich Dienstag zu um 20 Uhr zum Gospelchor ins Gemeindezentrum gehe, bin ich häufig recht erschöpft, gestresst und ohne große Lust gewesen. Wenn ich nach etwas mehr als 1,5 Stunden nach Hause zurückgehe, ist meine Laune meist deutlich besser. Singen tut mir gut! – und Musikhören auch! Sogar dann, wenn ich in ein klassisches Konzert gehe! Nein, nicht, was Sie vielleicht denken / Ihr vielleicht denkt! Ich mag klassische Musik! Sehr sogar! Aber sie hat, gerade wenn ich einen anstrengenden Tag oder eine anstrengende Woche hinter mir habe, sehr oft eine ganz bestimmte Wirkung: Sie beruhigt und entspannt mich! Und dann merke ich erst, wie müde ich eigentlich wirklich bin und habe den nächsten Teil des Konzertes intensiv damit zu tun, nur ja nicht einzuschlafen! Wie gesagt, nicht weil ich die Musik langweilig finde, sondern weil sie mich entspannt. Kein Wunder, dass Musik auch in unterschiedlicher Weise für therapeutische Zwecke eingesetzt wird und „Musiktherapie“ ein eigener Arbeitszweig ist. Der biblische „Urvater“ der Musiktherapeuten ist dabei der spätere König David, der als junger Mann an den Königshof geholt wurde zu genau diesem Zweck, den König durch seine Musik aus dessen Schwermut/depressiven Schüben herauszuholen. Die Geschichte steht 1. Samuel 16, 14-23 und war Predigttext am Sonntag.

Der Geist des HERRN hatte Saul verlassen. Von Zeit zu Zeit quälte ihn aber ein böser Geist, der seine Stimmung verfinsterte. Auch der kam vom HERRN.  Da sprachen Sauls Leute zu ihm: »Du weißt, dass es ein böser Geist ist, durch den Gott deine Stimmung verfinstert. Unser Herr braucht nur etwas zu sagen, deine Knechte stehen bereit. Wenn du es willst, suchen wir einen Mann, der auf der Harfe spielen kann. Wenn dann der böse Geist Gottes über dich kommt, gleitet seine Hand über die Saiten. Und gleich wird es dir besser gehen.«

Saul antwortete seinen Leuten: »Also gut! Seht euch um nach einem Harfenspieler und bringt ihn zu mir!« Da meldete sich einer von den jungen Leuten und sagte: »Ich weiß von einem! Es ist der Sohn Isais aus Betlehem. Der kann Harfe spielen. Er ist mutig und ein guter Soldat. Klug ist er auch und sieht gut aus. Ja, der HERR ist mit ihm!«

Saul ließ Isai durch Boten ausrichten: »Schick deinen Sohn David zu mir – den, der die Schafe hütet!« Daraufhin nahm Isai einige Laibe Brot, einen Krug Wein und ein Ziegenböckchen. Damit schickte er seinen Sohn David zu Saul. So kam David zu Saul und trat in seinen Dienst. Saul liebte ihn und machte ihn zu seinem Waffenträger. Darum ließ er Isai die Botschaft überbringen: »Lass doch David in meinem Dienst bleiben. Denn mir gefällt, wie er seine Aufgaben erfüllt.« Sooft aber der böse Geist Gottes über Saul kam, nahm David die Harfe zur Hand und spielte. Da konnte Saul befreit aufatmen und es ging ihm besser. Denn der böse Geist hatte ihn verlassen.

Dass die Geschichte zwischen Saul und David am Ende nicht gut ausging, hatte dann allerdings nichts mit der Musik zu tun, sondern mit der Geschichte, die die Bibel vor der „Urgeschichte der Musiktherapie“ erzählt, wie nämlich David heimlich vom Propheten Samuel zum König, also zum faktischen Nachfolger Sauls bestimmt und gesalbt worden war. Das Verhältnis zwischen Saul und David hatte also unterschiedliche Beziehungseben, in denen Konflikte z.T. schon angelegt waren.

Aber die Musik tat Saul gut, und dem David wurden später viele der Psalmen in der Bibel zugeschrieben. Ob immer zu Recht, steht auf einem anderen Blatt! Und in unserem Kulturkreis stellte das Singen der Psalmen als Sprechgesang eine der Grundlagen der europäischen Musik dar (eine andere zentrale war dann der Minnesang, also Liebeslieder!)

Noch heute tut Musik vielen Menschen gut, mir auch. Sie kann beruhigen, sie kann auch das Gegenteil bewirken, wenn man etwa bei einem Konzert ist und die „Halle bebt“, wenn eine Menschenmenge von den Musikern und ihrer Musik so begeistert sind, dass es emotional zu einem besonderen Erlebnis wird. Mein Eindruck ist allerdings, dass dieser Effekt dann am stärksten ist, wenn man nicht nur zuhört, sondern mitsingt! Bei Konzerten im Bereich der Popularmusik ist das üblich. Mindestens ein Teil der Konzertbesucher ist „textsicher“ und kann mindestens den Refrain der Lieder mitsingen. Und gesangliche Qualitäten spielen dabei keine große Rolle, die Musiker mit der Technik halten die Balance. Auch Interaktionen des Sängers, der Sängerin und des Publikums gehören dazu und schaffen Verbundenheit. Mir sind solche Konzerte meist zu laut, ich bekomme Kopf- oder Magenschmerzen. Aber sie faszinieren mich trotzdem, weil viele Elemente in diesen Konzerten ursprünglich aus dem Ablauf und der Gestaltung von Gottesdiensten stammen. Ich wünschte mir, bei uns würde Musik auch stärker diesen verbindenden Charakter durch gemeinsames Singen bekommen. Noch mehr aber wünschte ich mir, dass die Menschen, die an Gottesdiensten teilnehmen, sich trauen zu singen und nicht meinen, sie könnten das nicht. Wenn man ein Lied nicht kennt, singt man leise mit und die Teile, deren Melodie ich im Kopf habe, dann langsam lauter. Aber es geht beim Singen im Gottesdienst nicht um stimmlich-musikalische Perfektion (das überlassen wir entsprechenden Chören!), sondern um die emotionale Ebene. Zusammen durch die Musik unsere Gefühle zu zeigen, uns miteinander zu hören und (wenigstens für einen Moment) Gemeinschaft durch die Töne zu erleben. Mir tut das jedenfalls gut. Ihnen und Euch vielleicht auch?! Selbst wenn die Musik nicht immer unbedingt das ist, was man sonst immer hört! Muss ja auch nicht! Kann trotzdem Spaß machen! Traut Euch!

Einen schönen Mai –  Ihr/Euer Pastor Schnoor