Liebe Leserinnen und Leser

Der Wochenspruch für diese Woche ist eine Auslegung des Gebotes Jesu zur Nächstenliebe: „Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst.“ Die Fassung des Paulus steht im Galaterbrief Kapitel 6 Vers 2: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“

Am 4. Juli bekam ich per E-Mail eine kleine Andacht von Michael Becker vom Verlag Bergmoser & Höller mit dem Titel „Ein Herz und eine Seele“, die ich mit Ihnen teilen möchte als ein Beispiel für das, was das „Gesetz Christi“ meint!

„In Bad Hersfeld in Osthessen treffen sich zwei Männer. Einer konnte dem anderen das Leben retten. Er hat seine Stammzellen gespendet.

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Sie stehen Arm in Arm und strahlen in die Kamera des Regionalfernsehens. Dabei wirken sie wie ein Herz und eine Seele. Und zeigen das auch vor der berühmten Stiftsruine in Bad Hersfeld in Osthessen.

Die neuen Freunde fürs Leben haben auch allen Grund, einander zu umarmen und zu lächeln. Der junge Mann Jonathan aus Bad Hersfeld hatte sich registrieren lassen und seine Stammzellen gespendet. Der ältere Mann Dominic, ein Minister der kanadischen Regierung, hat die Stammzellen bekommen. So konnte sein Leben gerettet werden. Einige Zeit später dann besuchen sich die beiden. Erst reist Jonathan nach Kanada, vor zwei Wochen etwa kommt Dominic mit seiner Frau nach Bad Hersfeld. Dort gibt es eine Stadtführung und „Schnitzel und Bier“. Der junge Mann, Student fürs Lehramt, stellt dem kanadischen Minister seine ganze Familie vor. Und der Minister hat sie dabei alle nach Kanada eingeladen.

Wir leben in einer Welt. Und retten einander das Leben, wenn möglich.

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Ein Herz und eine Seele – beinahe kann man das hier wörtlich nehmen. Im kanadischen Minister fließt jetzt deutsches Blut. So hat er es später dem deutschen Bundeskanzler gesagt, den er auch noch getroffen hat in Berlin, kurz vor der Heimreise. Und der junge Mann aus Hersfeld kann stolz sein auf sich. Er hat alles dazu getan, ein Leben zu retten. Es war nicht so schwer. Er hat sich registrieren lassen in einer Kartei, zu der alle dazu Berechtigten in der Welt Zugang haben. Und dann hat er sein Blut abgegeben.

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Menschen sind dazu da, einander zu beschützen, zu retten. Sie sollen sich nicht zerstören; nicht auslachen oder nicht ausgrenzen. Und schon gar nicht mit Gewalt übereinander herfallen. Menschen sollen einander Leben geben, statt es zu nehmen.

Liebe ist Leben geben. Wo immer es geht. Vermutlich geht es häufiger, als wir manchmal meinen. Als einmal ein paar Menschen bei Jesus waren und fragten, was das Wertvollste im Leben sei und das höchste Gebot, hat Jesus ihnen geantwortet (Markus 12,30.31): Dass du Gott liebst – und deinen Nächsten wie dich selbst. Ein herrlicher Satz. Und oft nicht so schwer.

Wir alle sind so bedürftig nach Liebe, nach Anerkennung. Gerade in den letzten drei Jahren haben Menschen die Erfahrung gemacht, wie wichtig die Achtung des Nächsten ist – und wie sehr wir einander brauchen in den Zeiten der Krise. Ein Segen ist dann, wenn jemand mir eine Sorge abnimmt; manchmal vielleicht nur eine. Dann strahlen wir womöglich beide mal kurz – wie ein Herz und eine Seele.“

„Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“

Schönes Beispiel, wie das gehen kann zwischen einem kanadischen Minister und einem Lehramtsstudenten aus Bad Hersfeld. Und was ich besonders schön an diesem Beispiel finde, die beiden Menschen begegnen sich auf Augenhöhe und zeigen einander jeweils ein Stück von ihrem Leben.

Denn das scheint mir wichtig an der Formulierung, die Paulus im Galaterbrief für die „Nächstenliebe“ gefunden hat: Sie geschieht wechselseitig, miteinander, wahrscheinlich oft auch zeitlich versetzt. Es heißt nicht: Einer trage alle Lasten für den Anderen möglichst noch dauernd und immer wieder und lebenslang!

Das Ideal ist gerade nicht die moralische Aufforderung: Sei der Träger, die Trägerin, sei der Helfer, die Helferin! Sondern es geht darum, zu sehen, wo andere Menschen Unterstützung brauchen und zu helfen, aber genauso zu sehen, wo ich Hilfe brauche und die Kraft zu finden, andere Menschen um Hilfe zu bitten! Es geht darum, beides sein zu können, Helfer/in und  Mensch, dem/der geholfen wird!

Klingt vielleicht ziemlich theoretisch-abgehoben. Was soll daran so wichtig sein? Nun, wir alle kommen aus der Situation, als Baby ganz von anderen Menschen abhängig zu sein. Und wir alle haben mehr oder minder die Erfahrung gemacht, wie sehr es auch uns gut tut, etwas selbst zu tun oder gar für andere tun zu können. Als Kinder baut uns das auf. Das ist auch wunderbar! Aber es hat auch eine Gefahr in sich, nämlich dass wir die Position des Helfers/der Helferin viel lieber einnehmen als die dessen, dem oder der geholfen wird.

Und weil wir den Helfer unbewusst höher werten, will keine/r die Person sein, die Hilfe nötig hat, weil uns das „klein“ macht. Erst da, wo wir uns bewusst machen: Wir sind immer beides! Menschen, die helfen können und Menschen, die Hilfe brauchen, kommen wir „auf Augenhöhe“ miteinander. Und ich bin im Laufe meines Lebens immer mehr zu der Überzeugung gekommen, dass dies das Verhältnis ist, das Gott zwischen uns haben möchte: Groß Sein können und einander groß Sein lassen können. Die Bedürftigkeit beim Anderen und bei mir selbst zu erkennen und einzugestehen.

Und das ist wieder mal so ein Lernprozess aus der Abteilung „lebenslanges Lernen“, jedenfalls wenn ich auf mich schaue. Aber ich bin damit wohl nicht allein!

Gesegnetes Ausprobieren!

Ihr/Euer Pastor Schnoor