Liebe Leserinnen und Leser
Am vergangenen Sonntag bestand der Predigttext im Abschluss einer besonderen biblischen Familiengeschichte. Besonders deshalb, weil es eine längere einheitliche Novelle ist, in der die Geschichte von Josef und seinen Brüdern erzählt wurde, eine Geschichte, die so viel Spannung, Tiefgang und Gehalt hat, dass Thomas Mann einen sehr umfangreichen Roman gleichen Titels verfasste, der sich unbedingt lohnt, falls Sie einmal viel zu viel freie Zeit haben. Ansonsten empfehle ich die deutlich kürzere biblische Fassung (1. Mose Kapitel 37-50).
Und für diejenigen, die auch dafür keine Zeit haben, gebe ich mal eine ganz kleine Zusammenfassung.
Also: Der Erzvater Jakob hatte 12 Söhne, die beiden jüngsten von seiner Lieblingsfrau Rahel waren Josef und Benjamin. Josef war sein erklärter Liebling, und als er ein besonders prächtiges Gewand geschenkt bekam, weckte das endgültig den Neid der übrigen Brüder. Außerdem war Josef ein Träumer und dumm genug, seiner Familie von seinen Träumen zu erzählen, in denen er den Übrigen gegenüber in einer Machtposition war.
So kam es, wie es kommen musste. Es ergab sich eine Gelegenheit für die Brüder, den verhassten Liebling des Vaters draußen bei den Herden loszuwerden. Er wurde in einen trockenen Brunnen geworfen, dann aber doch nicht umgebracht, sondern an eine vorbeikommende Karawane nach Ägypten verkauft. Dem Vater erzählten sie, Josef sei Opfer eines Raubtiers geworden. Erstaunlich, wohin Neid in einer Familie so alles führen kann!
Josef jedenfalls wurde Sklave in Ägypten, wegen falscher Anschuldigung ins Gefängnis gesteckt, wo er die Träume zweier hoher Beamten deuten konnte. Als der Ägyptische König Träume hatte, konnte keiner seiner Weisen sie deuten, der eine Beamte erinnerte sich an Joseph, der die Träume des Pharao deutete und gleich die Pläne mitlieferte, wie man die Folgen der in den Träumen vorhergesagten Hungersnot vermeiden konnte.
Joseph wird oberster Minister in Ägypten, legt ein Versorgungsprogramm auf, und als dann die Hungersnot ausbricht, ist Ägypten weit und breit das einzige Land mit überzähligem Getreide. Die Brüder Josephs sind gezwungen, nach Ägypten zu ziehen, um Getreide zu kaufen. Joseph erkennt sie, sie ihn nicht! Es kommt zu mehreren Reisen, in denen Joseph seine Brüder testet, ob sie sich seinem jüngeren Bruder Benjamin gegenüber auch so verhalten, wie einst ihm gegenüber. Das tun sie nicht, sondern sie versuchen ihn zu schützen.
Da gibt Josef sich zu erkennen, es gibt ein Happy End und die ganze Familie wird nach Ägypten gebracht, inklusive altem Vater Jakob und bekommt guten Lebensraum durch den Sohn, der in Ägypten Karriere gemacht hatte, so wie es seine frühen Träume angekündigt hatten.
So geht es jahrelang gut, aber dann stirbt Jakob, der Vater. Und es passiert das, was wohl in unzähligen Familie passiert ist und bis heute passiert: Die Person, die die Familie zusammenhält, ist nicht mehr da, und die Familie gerät in die Krise. Werden jetzt die offenen Rechnungen präsentiert? Wird Josef sich jetzt, wo es nicht mehr den Vater als schützende Instanz gibt, an seinen Brüdern rächen?
Genau diese Befürchtung treibt die Brüder um, und sie wollen sich dagegen schützen, indem sie zu Joseph gehen und ihm einen ausgedachten letzten Willen des Vaters unterschieben wollen, er, Joseph, solle doch seinen Brüdern verzeihen.
Es ist das eigene schlechte Gewissen, das sie treibt, und das eigene rachsüchtige Verhalten, das sie auch dem Bruder unterstellen. Sie haben sich ihrer eigenen Fantasiewelt zu stellen, die von dem Denken und Tun gespeist ist, das sie im eigenen Leben umgesetzt haben. Mir ist das bei einer Konfirmandeneinheit über die 10 Gebote deutlich geworden. Neben dem eigenen Tun ist es vor allem ein Effekt, der meine Welt verändert. Wenn ich schon in der Lage bin, mich negativ gegen andere Menschen zu verhalten, dann, so wird mir bewusst, ist es bei den anderen Menschen genauso! Ich traue den Anderen also das Böse zu, das ich mir zu tun vorstellen kann, und das verändert mein Verhalten. Denn nun muss ich mich gegen das Böse der anderen Menschen schützen.
Jede und jeder von uns durchläuft diese Veränderung der Wahrnehmung seit wir die kindliche Naivität verlassen und Bekanntschaft mit Niedertracht, Bosheit oder Neid gemacht haben.
Die Stärke der Josephsgeschichte liegt darin, dass Joseph diesen Zusammenhang für sich selbst im Blick auf Gott durchbrochen hat. Als die Brüder mit dem ausgedachten letzten Willen des Vaters ankommen, ist Joseph erschüttert, dass die Brüder immer noch in diesem Denken gefangen sind. Er antwortet ihnen: Aus dem Bösen, das Ihr getan habt, hat Gott doch schon längst etwas Gute gemacht. Er hat dadurch, dass Ihr mich nach Ägypten verkauft habt die Grundlage zur Rettung unseres Volkes geschaffen. Warum sollte ich Euch noch böse sein? „Ihr gedachtet es böse zu machen, Gott aber gedacht es gut zu machen!“
Eine gesegnete Zeit und einen scharfen Blick auf das Gute inmitten des Problematischen!
Ihr/Euer Pastor Schnoor